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Die neue Stadt: internationale Monatsschrift für architektonische Planung und städtische Kultur — 7.1933-1934

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Giedion, Sigfried: Wohnbedarf Zürich
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https://doi.org/10.11588/diglit.17522#0027
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«Wohnbedarf» wurde ein Unternehmen genannt, das im Juli 1931 in Zürich
gegründet worden ist und den Zweck hat, einen engeren Kontakt zwischen Architekt,
Industrie und Publikum herzustellen. Ungefähr sechszehn Schweizer Architekten
und eine Anzahl der besten auswärtigen Kräfte arbeiten systematisch daran, Möbel
und Einrichtung nach einheitlichen Gesichtspunkten zu schaffen.

Aus Anlaß der vor kurzem erfolgten Vergrößerung des «Wohnbedarf» hielten
Prof. Dr. Karl Moser und Dr. Siegfried Giedion die Einführungsansprachen. Im
Folgenden werden aus einer dieser Ansprachen einige Stellen abgedruckt.

Der Wohngedanke entstand aus der Situation
der heutigen Architektur. Dem Haus, wie es
heute aus gesellschaftlichen, ökonomischen und
psychischen Gründen geschaffen wurde, fehlt
immer noch in vielen Punkten die Einrichtung, die
seinem Wesen und seiner Organisation ent-
spricht.

Die großen Fenster allein tun es nicht. Wir
verlangen nicht nur Räume, die viel Licht herein-
lassen: auch im Innern muß Bewegungsfreiheit
und Luftigkeit herrschen. Man muß sich in den
Zimmern bewegen können.

Unsere Stellung zur Wohneinrichtung ist in
vielem eine andere als früher:

Ob man die übernommene Malerei, Architek-
tur, Philosophie oder wissenschaftliche Methode
untersucht, immer stellen sich zu ihrer Charakte-
risierung die gleichen Worte ein. Die von uns
übernommenen Begriffe sind einerseits zu grob
und andererseits zu kompliziert, überall setzt ein
Reinigungsprozeß ein, eine Neubildung von Ele-
menten. Man gibt sich nicht zufrieden mit dem,
was übernommen wurde, sondern man beginnt
zu untersuchen, was wir eigentlich brauchen.

Auf das Möbel angewandt: Die Wohnein-
richtung, wie wir sie übernahmen, scheint uns zu
kompliziert, zu aufwendig und doch wiederum zu
grob: denn sie geht zu wenig von den eigent-
lichen Anforderungen aus, von den verschiedenen
Arten des Sitzens, des Liegens: kurzum von den
differenziert gewordenen Bedürfnissen unseres
Körpers, der durch Sport und Gymnastik seiner
selbst bewußter geworden ist und weiß, was er
braucht. Wenn wir unseren Körper in der Zeit
der Hausruhe wirklich entspannen wollen, müssen
wir diese Bedürfnisse kennen und analysieren
und dafür die entsprechenden «Wohngeräte»
schaffen.

Gleichzeitg sind wir uns aber heute klar
darüber, daß das Möbel auch vom Auge beurteilt
wird. Die Erfüllung einer bestimmten Funktion ge-
schieht durch Formen und Materialien, deren Aus-
wahl zweifellos ein ästhetisches Gefühl zu
Grunde liegt, das oft den Ausschlag gibt. Gewiß
ein anderes ästhetisches Gefühl als früher,
aber wegzuleugnen ist es nicht! Wir stellen heute
strengere Forderungen an den Architekten als
früher. Bloße Formspielereien genügen uns nicht.

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