Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zürcher Kunstgesellschaft [Hrsg.]
Neujahrsblatt / Zürcher Kunstgesellschaft — 1902

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43206#0039
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
3i

Als man Gottfried Keller mit einem so gewaltigen Leichen-
begängnis, wie Zürich noch niemals eines gesehen, zur letzten Ruhe
brachte, schritt Böcklin nahe hinter dem Sarge im Trauergeleite der
Freunde, fest und aufrecht, mächtig gewachsen und trotz seiner er-
grauten Haare von blühender Gesichtsfarbe. Er sah aus, als ob ihm
noch eine lange Lebensdauer winken müsse. Vor dreissig Jahren hatte
er in München einen fürchterlichen Typhus überstanden, der aller-
dings seinen Geist auf lange Monate hinaus aufs schwerste schädigte;
aber seitdem war seine Gesundheit eigentlich eine eiserne gewesen.
Und da sein Vater, dem er ähnlich sah, das hohe Alter von 84 Jahren
erreicht hatte, so durfte man seinen Erdentagen wohl noch ein fernes
Ziel zutrauen.
Doch es verfloss kaum ein Jahr, so nahten leise Boten und
mahnten, dass die Axt schon an diesen starken Baum gelegt sei.
Ein Bekannter, der nicht selten mit ihm zusammen kam, bemerkte
eines Abends auf dem Heimweg vom Trünke, dass Böcklin undeutlich
redete und unsicher ging. Er dachte sich, nun habe der Wein den kräf-
tigen Mann doch einmal überwunden. Was sich aber hier zeigte, das
waren bereits die Wirkungen von leichten Schlaganfällen, die den
Ahnungslosen g'etroffen hatten. Dann kam ein Empyem der Stirn-
höhle, das ihn arg peinigte, und eines Abends berichtete er beim
Wein, er sei vor wenig Stunden, von plötzlicher Schwäche übermocht,
ins Knie gesunken.
Immerhin waren diese Heimsuchungen nicht im Stande, seine
Stimmung und seine Arbeitskraft für längere Zeit brach zu legen.
Anders wurde es, als ihn zu Ostern 1892 ein schwerer Schlaganfall
niederwarf, der das Ärgste androhte. Doch seine Natur leistete Wider-
stand. Nachdem er wochenlang gelegen, stellte sich allmälig die
Sprache und die Bewegungsfähigkeit wieder ein. Anfangs Juni konnte
er ein wenig aufstehen und Besuche empfangen, obschon das Reden
immer noch mühsam von statten ging. Trübe Stunden blieben dem
Dulder nicht erspart, aber meistens behielt er seinen Humor und ver-
traute der Zukunft. Als Freund Koller eines Tages im Hause «zur
Eidmatte» vorsprach, fand er seinen genesenden Freund hinter dem
Hause unter den Bäumen lesend. Triumphirend eröffnete er ihm, er
sei jetzt doch schon so weit voran, dass er wieder stehend in seine
Hosen hinein könne.
Mehr als Einer, der ihn unvermutet auf der Strasse traf, hatte
Mühe, ihn auf den ersten Blick zu erkennen: er trug die grauen
Haare länger, hatte sich einen Bart wachsen lassen, und seine Züge
 
Annotationen