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Neuwirth, Joseph
Mittelalterliche Wandgemälde und Tafelbilder der Burg Karlstein in Böhmen — Forschungen zur Kunstgeschichte Böhmens, 1: Prag: J. G. Calve'sche k.u.k. Hof- und Universitäts-Buchhandlung Koch, 1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.49511#0031
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Die untere Bildreihe nimmt die Fortführung des oben begonnenen Gedankens auf und veranschaulicht das dritte
Weh in drei Bildern mit sechs Scenen; das erste zeigt den mit der Posaune niederschwebenden siebenten Engel (i), den
geöffneten Tempel mit der Arche (2) und das von Blitz und Donner begleitete Erdbeben □), das zweite bietet das Weib
mit dem Drachen (4), das dritte außer dem Kampfe Michaels und seiner Heerscharen gegen die Geister der Hölle (5)
die Verwerfung des Verklägers der Brüder in der Hölle (6)..
Die bildlichen Darstellungen des 12. Capitels springen von dem ersten Bilde der unteren Ostwandreihe auf die
rechts neben dem Westfenster sich erstreckende Wandfläche, wo neben dem mit der Sonne bekleideten und auf dem
Monde stehenden Weibe (1) nochmals das Losgehen des siebenköpfigen Drachen gegen das an seinen Ort zurückgezogene
Weib (2) und außerdem das Verschlingen des Wasserstromes (3) behandelt ist, welcher das Weib bedroht; Reste einer
Inschrift lassen über diesen Westwandbildern den ehemaligen Bestand einer Votivdarstellung mit mehreren Heiligen (4)
und eines Prophetenchores (5) feststellen, welche Scenen wie die Engelschöre an der linken Westwand oberhalb des Ein-
ganges zur Katharinenkapelle mit der Apokalypse nicht unmittelbar Zusammenhängen.
Die Vertheilung der Apokalypsescenen auf alle drei alten Wände der Karlsteiner Marienkirche, welche dem Schrift-
texte vom fünften bis zum zwölften Capitel sich anschlossen, berechtigt wohl zur Vermuthung, dass auch die vierte Wand
einst Darstellungen geboten habe, welche demselben gestaltungsreichen Stoffgebiete angehörten und andere Motive desselben
behandelten. An einigen, derzeit in der Baukanzlei aufbewahrten Ziegeln des bei der Restaurierung abgebrochenen Mittel-
pfeilers, welcher unter Rudolf II. mit Verwendung des Materiales der damals beseitigten Nordwand aufgemauert wurde,
haben sich Reste von Bemalung, Goldgrund und Inschriften erhalten. Einer zeigt das Wort »Jeronim(us)« in denselben
Typen, welche bei der Überschrift über den zwei Westwandbildern wiederbegegnen. Demnach waren offenbar an der
Nordwand über Scenen, die gleiche Höhe mit den Westwandbildern einhalten mochten, noch Heiligendarstellungen, wie
an der West- und Südwand angeordnet; eine derselben zeigte den heil. Hieronymus.
Außer den Apokalypsebildern finden sich an der rechten Südwand noch interessante Bildnisse Karls IV., der mit
seiner Gemahlin Bianca (1), mit einem jungen, ihm Reliquien übergebenden Fürsten (2) und vor einem kostbaren Reliquien-
kreuze (3) vorgeführt ist; von den einst darüber befindlichen Darstellungen sind nur noch zusammenhanglose unbestimmbare
Umrisse wahrzunehmen.
Die linke Wand der Westfensternische zeigt den auferstehenden Heiland, die rechte eine heil. Jungfrau, zu beiden
Seiten von Heiligen umgeben; in der Wölbung der Fensternische haben sich Reste jener Malereien erhalten, die unter
Rudolf II. in der Marienkirche ausgeführt wurden und unter • welchen die Farbenspuren der älteren Bemalung stellenweise
durchschlagen. Die Gedanken der Apokalypse und die Rücksicht auf die Reliquienverehrung Karls IV. bestimmten die
Anlage und Durchführung des Wandbilderschmuckes der Karlsteiner Marienkirche, dessen Einzelbetrachtung Folgendes
darbietet.
Die Südwand, welche das nach alten Anhaltspunkten erneuerte Spitzbogenfenster mit tiefen Leibungen durch-
bricht, zeigt einen zwei verschiedenen Stoßkreisen angehörigen Bildschmuck. Rechts von dem Fenster zieren über dem
Architekturstreifen Porträtdarstellungen Karls IV., seiner Gemahlin Bianca und eines jugendlichen Fürsten die Fläche der
mäßig vorspringenden Wand; oberhalb dieser Bildnisse waren, wie sehr schwache Umrisse erkennen lassen, theilweise
Brustbilder angeordnet, für deren genauere Personenbestimmung sich keine Anhaltspunkte finden. Links vom Fenster
ermöglichen die Überreste der vier apokalyptischen Reiter im Zusammenhänge mit dem über letzteren sich hinziehenden
Inschriftenstreifen wenigstens eine Feststellung des Bildschmuckes der anderen Wandfläche.
Die untere noch gut erhaltene Inschriftzeile:
ex • omni • tribu • et • lingua • et • populo • et • fecisti • n[os] de[o nostro regnum et sacerdot]es • et • regnabimus .
lässt für die obere, im Zusammenhänge nicht mehr lesbare Zeile die Ergänzung in Apok. V., 9 suchen: »Et cantabant
canticum novum dicentes: Dignus es domine accipere librum et aperire signacula eins; quoniam occisus es et redemisti
nos deo in sanguine tuo.<» Die dazu gehörige Darstellung muss demnach die Lobpreisung des Lammes durch die vier
Thiere und die vierundzwanzig Ältesten geboten haben, welche dem Empfange des Buches mit den sieben Siegeln
folgt.’) Denn wie in den Darstellungen der Ostwand die obere Bilderreihe, der unteren inhaltlich vorangeht, da an die
Scenen des zweiten Wehes jene des dritten in der unteren Bildfolge sich unmittelbar anschließen, so kann auch im Hin-
blicke auf die in der mitgetheilten Inschrift liegenden Anhaltspunkte die obere Darstellung der linken Südwandfläche nur
etwas dem Erscheinen der apokalyptischen Reiter unmittelbar Vorangehendes behandelt haben. Die bereits erwähnte
Lobpreisung des Lammes erweist sich aber als ein solches, zeitlich mit dem Auftreten der apokalyptischen Reiter ver-
bundenes Motiv, da letzteres in einem Cyklus von Scenen aus der Apokalypse die Entgegennahme des versiegelten
Buches durch das Lamm, welches die einzelnen, für das Erscheinen der Reiter wichtigen Siegel löst, gewissermaßen zur
nothwendigen Voraussetzung hat. An der linken Süd wand fläche der Karlsteiner Marienkirche befand sich demnach
außer den apokalyptischen Reitern noch die Lobpreisung des Lammes durch die vier Thiere und die vier-
undzwanzig Ältesten.

1) Apok. V., 7 bis 9. — Sedläcek, Karlstein a. a. O. S. 15 geht auf die Apokalypsedarstellungen der Südwand gar nicht ein.

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