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Neuwirth, Joseph
Mittelalterliche Wandgemälde und Tafelbilder der Burg Karlstein in Böhmen — Forschungen zur Kunstgeschichte Böhmens, 1: Prag: J. G. Calve'sche k.u.k. Hof- und Universitäts-Buchhandlung Koch, 1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.49511#0052
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jeder Längswand sind zwei Eisenstangen, die ehemals vergoldet waren, zum Schutze des unteren Theiles der Edelstein-
verkleidung angebracht. An der linken Wand haben sich überdies die Köpfe mehrerer Heiligenbilder erhalten, deren
Oberkörper unter der erst später eingesetzten Edelsteinverkleidung noch zur Zeit Karls IV. verschwanden. Eine Madonna
mit dem Kinde zwischen Karl IV. und seiner dritten Gemahlin in der Nische oberhalb des Altares, das Kreuzigungsbild
vorn am Altartische und die heil. Katharina an der Epistelseite desselben, die Bildnisse des Kaisers und seiner Gemahlin
über der Eingangsthüre zeigen die Ausnützung jeder für Bemalung freibleibenden Fläche zur farbigen Ausschmückung;
der Rest einer alten Glasmalerei in dem Fenster nächst dem Altäre lässt feststellen, dass auch dieser Kunstzweig der
Gothik bei Karlsteins Ausschmückung entsprechende Berücksichtigung fand.
Die Gemälde der Katharinenkapelle, deren Ausstattung auf eine besonders abwechslungsreiche Farbenwirkung ab-
zielt, gehören zu den hervorragendsten Stücken der Karlsteiner Bilder; leider ist das am feinsten empfundene und durch-
geführte Nischenbild (Taf. XV) stark beschädigt. Dasselbe wird in der Rundung außen von Edelsteinen umrahmt,1) um
deren jeden wie vorn an der Altartischplatte je acht kleinere Steine eingesetzt waren; der Nischenhintergrund ist blau mit
goldenen Sternen. Auf braunem, baldachinartig abschließendem Throne, dessen Wangen fialenartige Aufsätze, strebepfeiler-
ähnliche Abtreppung und ein Spitzbogenfenster als Durchbrechungsmotiv zeigen, sitzt die goldnimbierte Madonna in blauem,
über den Kopf emporgezogenem Mantel, dessen Agraffe ausgebrochen ist; drei Vierpässe und ebensoviel schlangenartige
Thiere zwischen denselben schmücken die Stufe, indes an der linken Wange des Thrones noch eine fünfblättrige, weiß-
gehöhte Rose sichtbar wird. Während Maria die Rechte huldvoll einer gekrönten Frau reicht, welche in blauem Mantel
über grünem Unterkleide vor ihr kniet und mit beiden flehend erhobenen Händen die Rechte der Gottesmutter umfasst,
hält sie mit der Linken ungezwungen das goldnimbierte, nur mit einem Lendentuche bekleidete Kind. Letzteres wendet
sich nach auswärts, erhebt segnend die Rechte und reicht die Linke Karl IV., der in grüngefüttertem Purpurmantel ge-
krönt vor ihm kniet und beide Hände betend emporstreckt, wobei die dunkelrothen Ärmel und ein grünes Unterkleid
sichtbar werden. Die Innenseite des Nischenrundbogens zieren sechsstrahlige Sterne auf blauem Grunde; an derselben ist
hinter Karl IV. der nimbierte Apostel Petrus in rothgefüttertem grünem Mantel sichtbar, der in der verhüllten Linken ein
Buch, in der Rechten einen aufrechtstehenden großen Schlüssel trägt. Außer hoher Stirne und ruhigen Augen lässt sich
an dem abgeriebenen Gesuchte nicht viel bestimmen. Petrus gegenüber steht hinter der Kaiserin, welche als Anna von
Schweidnitz, Karls dritte Gemahlin, zu deuten ist, der bärtige, nimbierte Apostel Paulus in rothem, grüngefüttertem Mantel,
mit grünem Buche in der verhüllten Linken, die Rechte auf den Kreuzgriff eines aufrecht stehenden Schwertes stützend.
Trotz der schweren Beschädigungen gibt das Nischenbild der Karlsteiner Katharinenkapelle sehr interessante kunst-
geschichtliche Aufschlüsse, für welche besonders der Madonnenkopf in Betracht kommt; schon Kugler bemerkts), dass er
etwas Sienesisches — vielleicht von Thomas von Modena — an sich trage. Die hohe Stirne, die schön geschwungenen
Augenbrauen, die gerade Nase mit dem scharf aufgesetzten Lichte, der mandelförmige Schnitt der Augen, die Modellie-
rung des oberen Augenlides, die weiche Behandlung der zart gerundeten Wange, die Bewegung der das Kind haltenden
Linken mit den etwas voneinander gespreizten Fingern, bei welchen besonders der Verlauf der Linie von der Daumen-
wurzel zum nächsten Finger zu beachten ist, das Aufsetzen der Lichter in den Haaren der Kaiserin bieten thatsächlich
unverkennbare Übereinstimmungen mit der Karlsteiner Madonna des genannten Italieners. Die vollen Formen des braun-
gelockten Kindes, dessen Körper immerhin Streben nach Naturwahrheit verräth, stimmen auch mehr zu dem südländischen
Canon. Die sicher gezeichneten Umrisse treten mehrmals in kräftigem Braunroth zutage, das auch zur Vorzeichnung der
Falten verwendet ist; letztere bleiben, was besonders bei der Kaiserin und dem Kaiser wahrnehmbar ist, frei von Klein-
lichkeit und störender Häufung der Motive. Auch die sonst in Böhmen damals ungewöhnliche Anordnung, dass das
Nischenbild zum Altarbilde wurde, deutet auf Einwirkungen von auswärts, speciell von Italien.
Ein zweites, nicht minder interessantes Gemälde der Katharinenkapelle ist die Kreuzigung an der Vorderseite des
Altartisches (Taf. XVI), deren vergoldeter Gipsgrund vierblättrige Rosen und achtstrahlige Sterne oder Sonnen zeigt, während
über den Kreuzesarmen ein schmaler Streifen in geschmackvoller Laubwerkverzierung hinläuft.3) Die Arme Christi, in
dessen auf die Schultern herabfallenden blonden Haaren die grüne Dornenkrone liegt, sind von der Last des Körpers
etwas angezogen, wie die Spannung der Muskeln erkennen lässt; Blutstropfen stehen auf der normal gebauten Stirne.
Dem schmerzverzogenen, geöffneten Munde ist eben der letzte Hauch des Lebens entflohen. Um den Körper, der zwar
etwas langgestreckt ist, im Brustkörbe und Rippenansatze aber ziemlich naturwahre Bildung anstrebt, liegt ein schön
geschlungenes weißes Lendentuch; im Verhältnisse zu den Oberschenkeln sind die Theile der Beine von der mäßig
betonten Kniescheibe bis zu den übereinander gelegten Füßen etwas lang gerathen. Aufgesetzte Lichter lassen die
Schienbeine scharf hervortreten. Die Zehen mit den deutlich betonten Nägeln sind etwas auseinander gehalten. Unter
dem in stilisiertem Felsengrunde sich erhebenden Kreuzesstamme ist ein Todtenschädel sichtbar.

*) Dieselbe ist gar nicht einbezogen in die Abbildung bei Sedläcek, Karlstein a. a. O. S. 53; Grueber, Kunst d. Mittelalters in Böhmen III.
Taf. II. ebenso unrichtig als unzureichend. — 2) Kugler, Kleine Schriften und Studien zur Kunstgeschichte. II. S. 497. — Burckhardt, Kuglers Hand-
buch der Geschichte der Malerei. I. S. 222. — Frantz, Geschichte d. christl. Malerei II. S. 118. — Waagen, Die deutschen und niederländischen
Malerschulen. I. S. 55- — Woltmann, Buch der Malerzeche in Prag, S. 47 gibt eine ungenaue Beschreibung des Bildes, da weder Petrus und Paulus der
Madonna zur Seite stehen, noch Kaiser und Kaiserin unten kleiner knien. — Passavant, Über die mittelalterliche Kunst in Böhmen und Mähren a. a. O.
S. 210. — 3) Sedläcek, Karlstein a. a. O. S. 20 weit besser als die ganz unrichtige Wiedergabe bei Grueber, Kunst des Mittelalters in Böhmen III.
Taf. II. zu S- 67 u. 72.

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