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Wierland eine bedeutend selbständigere Stellung als die livländischen Stifts- und Ordens-
vasallen ein, wozu die weite Entfernung von Dänemark, dem Aufenthaltsorte des
Königs, nicht wenig beitrug. Ebenso selbständig entwickelte sich auch die Stadt
Reval als Hauptort des Landes. Den König vertrat in beiden ein von ihm ernannter
Statthalter, Hauptmann, capitaneus genannt, der auf dem Dome im Schloss residirte.
Auch ferner diente der Dom vornehmlich als Wohnsitz der königlichen Dienstmannen
und Vasallen und enthielt die Häuser (Burgsitze, Burglehen) der letzteren. Er bildete
mit dem angrenzenden, später (i348) abgetheilten Territorium, der gegenwärtigen
Domvorstadt, ein von der eigentlichen Stadt, der Unterstadt, durchaus getrenntes Ver-
waltungs- und Rechtsgebiet und war bis in die neueste Zeit dem Landrecht und den
Landesbehörden unterstellt.
Gemeinschaftlich war dem Dom und der Unterstadt die Gras- und Holznutzung
innerhalb der Bannmeile von König Waldemar II. verliehen worden, die Stadtmark
war also, insoweit sie nicht dem Anbau dienen musste, Gern ein land. Auch dem
Bischof von Reval hatte der König Land innerhalb einer Meile vom Schloss zur Vieh-
weide angewiesen,x) so dass dieser als dritter an der Grasnutzung Theil nehmen
konnte. Des Bischofs Ansprüche an das Gemeinland traten später ganz zurück,
während die gemeinschaftliche Nutzung des Doms und der Unterstadt theilweise noch
bis in’s l7. Jahrhundert fortdauerte.
Die Ritterschaft als solche hatte zu dänischer Zeit eigentlich kein Anrecht am
Gemeinlande, sondern man verstand unter „Dom“ als juristischer Person die daselbst
mit Burglehen ansässigen Vasallen, die Burgmannen und die übrigen Domeinwohner,
vertreten wurde er indessen, abgesehen vom königlichen Hauptmann, auch schon da-
mals von der Ritterschaft, was jener ursprünglichen, vom Schwertorden bewerkstelligten
Vertheilung des Domareals (S. 6) entsprach. Im Jahre 134o vereinigten sich diese beiden
Vertreter mit der Stadt über die Grasnutzung in der Weise, dass die Weide nach
dem Alten gemeinsam verbleiben, die Heuschläge aber jahrweise bald auf der einen,
bald auf der anderen Seite der Stadtmark abwechselnd von den Vasallen und Dom-
bewohnern einerseits und den Bürgern der Stadt andererseits benutzt werden sollten.
Zu dem Gemeinlande gehörte ursprünglich auch das erwähnte Domvorstadtgebiet,
welches seit i348 längere Zeit staatlicher Benutzung vorbehalten blieb. Gemeinschaft-
lich stand auch dem Dom und der Unterstadt zu das Recht des Holzfällens und
Kohlenbrennens auf den, dem Könige gehörigen Inseln Nargen, Wulf, Gross- und
Klein-CarL2)
Vermochte das dänische Element, auf dem Lande unter den Vasallen nicht
Wurzeln zu fassen, so geschah dieses noch weniger in der Stadt. Letztere war schon
während der ganzen Zeit der Dänenherrschaft eine deutsche und nach deutschem
Rechte sah man sich um, als sich schon früh im jungen Gemeinwesen das Bedürf-
niss nach Gesetzesnormen geltend machte. Für die Stadt und Umgegend ist eine be-
sondere Ausfertigung des ältesten Rigischen Rechts wohl bald nach Verdrängung des
Ordens erfolgt;*) ob diese primitiven Rechtsnormen in Reval je in Anwendung ge-
kommen sind, ist jedoch zweifelhaft. Lange können sie jedenfalls nicht Geltung ge-
habt haben, da Waldemars Nachfolger Erich Plogpennig der Stadt Reval schon 1248
das lübische Recht verlieh.3) Die ältesten Mittheilungen dieses Rechts an Reval, ein

*) Da dort von einem „princeps“ als Herrscher die Rede ist, kann die Ausfertigung nicht
wohl in die Zeit des Interregnums des Schwertordens fallen.
 
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