Die badische Verfassung von 1818
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Kriegsläufte im August jenes Unglücksjahres die gebührende Jubiläumsfeier ver-
hindert hatten, das Gefühl der Unsicherheit, wie es in puncto Verfassung in
badischen Landen weitergehen sollte.
Immerhin — politische und juristische Verfassungsmacher erholten sich schnell.
Was zu geschehen hatte, war zunächst in einem Punkte klar: die Souveränität des
Monarchen, wie sie de lege bestand, war durch die Volkssouveränität zu ersetzen.
Allzu scharf mit der alten Verfassung und ihrer monarchischen Spitze abzu-
rechnen, zeigte die neue Regierung geringe Neigung; man war sogar bereit, das
Gewesene maßvoll zu loben — nur in Baden, will uns scheinen, konnte zum
Abschluß einer zwar nicht glorreichen, aber doch gelungenen Revolution von
den Volksmännern dem gütigen alten Großherzog der „Dank für seine weise
Regierung“ ausgesprochen werden. Die verfassunggebende Versammlung gab sich
auch, von einigen wenigen Extremisten abgesehen, gar nicht sonderlich radikal.
Mit der monarchischen Spitze verschwand natürlich auch das „Herrenhaus“, in
Baden als Erste Kammer bezeichnet und für Reformideen stets aufgeschlossen,
mehr von großbürgerlichem als von seigneural-adligem Gepräge. Die Rolle der
Staatsrepräsentation, auf die sich Friedrich II. immer mehr beschränkt hatte,
übernahm ein Staatspräsident, der im Rahmen seines Ministerkabinetts wenig
mehr als primus inter pares war; die altväterliche „Ständeversammlung“ nannte
man nun auch offiziell „Landtag“, und dieser Landtag des parlamentarisch ver-
faßten Freistaats Baden wies sich bald als überwiegend gutbürgerlicher Hono-
ratiorenverein aus. Im organisatorischen Aufbau der Landesverwaltung lehnte
man sich an die guten alten Formen vielfach an, vor allem in der Mittelstufe der
Landeskommissariate und in der Unterstufe der Bezirksämter, deren große Zahl
erst später, ein fast nachrevolutionärer Akt, eingeschränkt und — dem badischen
Geschmack zunächst gar nicht entsprechend — noch später in Landratsämter
umgetauft wurde.
So ergibt unser erster Überblick gleich zweierlei: der badische Konstitutionalis-
mus, ein Geschenk des großherzoglichen Souveräns an sein Volk, wies in der
Verfassung von 1818 eine brave Mischung konservativer und liberaler Elemente
auf; an seinem Ende und beim Übergang zur parlamentarischen Republik kam es
zu einer Verfassung, die wenig revolutionären Elan erkennen ließ. 1847/49, als
das Großherzogtum Baden „seine“ Revolution und ein kurzfristiges republika-
kanisches Intervall erlebte, reichte der Aufstand der Radikaldemokraten vom
Schlage Heckers und Struves an die Verfassungsebene, abgesehen von einem ab-
wegigen Antrag, eine badische „Nationalversammlung“ einzuberufen, gar nicht
heran. Ihnen besagte die altbadische Verfassung nichts, sie schauten nach der
Paulskirche, deren extremistisch national-unitarischer Flügel ihr Vorbild war.
Als Karlsruhe für wenige Tage von Freischärlern bedroht wurde, war die ba-
dische für diese nur eine Übergangsstation zur deutschen Republik. Das revo-
lutionäre Mittelstück war im Grunde nicht originär badisch, auch wenn man
nach 1918 sich gelegentlich zur Legitimation darauf berief. Die Verfassung von
1818 blieb im Kern unberührt und konnte sich im Wechsel restaurativer und
liberaler Epochen für weitere 70 Jahre ihre Existenz bewahren. Das Land gab
sich vom Scheitel bis zur Sohle, „vom See bis an des Maines Strand“, liberal, was
nicht mit extremem Liberalismus oder gar Libertinismus zu verwechseln ist, son-
dern zunächst nur eine Grundhaltung bedeutet — das Epitheton ornans „liberal“
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Kriegsläufte im August jenes Unglücksjahres die gebührende Jubiläumsfeier ver-
hindert hatten, das Gefühl der Unsicherheit, wie es in puncto Verfassung in
badischen Landen weitergehen sollte.
Immerhin — politische und juristische Verfassungsmacher erholten sich schnell.
Was zu geschehen hatte, war zunächst in einem Punkte klar: die Souveränität des
Monarchen, wie sie de lege bestand, war durch die Volkssouveränität zu ersetzen.
Allzu scharf mit der alten Verfassung und ihrer monarchischen Spitze abzu-
rechnen, zeigte die neue Regierung geringe Neigung; man war sogar bereit, das
Gewesene maßvoll zu loben — nur in Baden, will uns scheinen, konnte zum
Abschluß einer zwar nicht glorreichen, aber doch gelungenen Revolution von
den Volksmännern dem gütigen alten Großherzog der „Dank für seine weise
Regierung“ ausgesprochen werden. Die verfassunggebende Versammlung gab sich
auch, von einigen wenigen Extremisten abgesehen, gar nicht sonderlich radikal.
Mit der monarchischen Spitze verschwand natürlich auch das „Herrenhaus“, in
Baden als Erste Kammer bezeichnet und für Reformideen stets aufgeschlossen,
mehr von großbürgerlichem als von seigneural-adligem Gepräge. Die Rolle der
Staatsrepräsentation, auf die sich Friedrich II. immer mehr beschränkt hatte,
übernahm ein Staatspräsident, der im Rahmen seines Ministerkabinetts wenig
mehr als primus inter pares war; die altväterliche „Ständeversammlung“ nannte
man nun auch offiziell „Landtag“, und dieser Landtag des parlamentarisch ver-
faßten Freistaats Baden wies sich bald als überwiegend gutbürgerlicher Hono-
ratiorenverein aus. Im organisatorischen Aufbau der Landesverwaltung lehnte
man sich an die guten alten Formen vielfach an, vor allem in der Mittelstufe der
Landeskommissariate und in der Unterstufe der Bezirksämter, deren große Zahl
erst später, ein fast nachrevolutionärer Akt, eingeschränkt und — dem badischen
Geschmack zunächst gar nicht entsprechend — noch später in Landratsämter
umgetauft wurde.
So ergibt unser erster Überblick gleich zweierlei: der badische Konstitutionalis-
mus, ein Geschenk des großherzoglichen Souveräns an sein Volk, wies in der
Verfassung von 1818 eine brave Mischung konservativer und liberaler Elemente
auf; an seinem Ende und beim Übergang zur parlamentarischen Republik kam es
zu einer Verfassung, die wenig revolutionären Elan erkennen ließ. 1847/49, als
das Großherzogtum Baden „seine“ Revolution und ein kurzfristiges republika-
kanisches Intervall erlebte, reichte der Aufstand der Radikaldemokraten vom
Schlage Heckers und Struves an die Verfassungsebene, abgesehen von einem ab-
wegigen Antrag, eine badische „Nationalversammlung“ einzuberufen, gar nicht
heran. Ihnen besagte die altbadische Verfassung nichts, sie schauten nach der
Paulskirche, deren extremistisch national-unitarischer Flügel ihr Vorbild war.
Als Karlsruhe für wenige Tage von Freischärlern bedroht wurde, war die ba-
dische für diese nur eine Übergangsstation zur deutschen Republik. Das revo-
lutionäre Mittelstück war im Grunde nicht originär badisch, auch wenn man
nach 1918 sich gelegentlich zur Legitimation darauf berief. Die Verfassung von
1818 blieb im Kern unberührt und konnte sich im Wechsel restaurativer und
liberaler Epochen für weitere 70 Jahre ihre Existenz bewahren. Das Land gab
sich vom Scheitel bis zur Sohle, „vom See bis an des Maines Strand“, liberal, was
nicht mit extremem Liberalismus oder gar Libertinismus zu verwechseln ist, son-
dern zunächst nur eine Grundhaltung bedeutet — das Epitheton ornans „liberal“