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Schäfer, Alfons [Editor]
Neue Forschungen zu Grundproblemen der badischen Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert — Oberrheinische Studien, Band 2: Karlsruhe: Kommissionsverlag G. Braun, 1973

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Botzenhart, Manfred: Baden in der deutschen Revolution 1848/49
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https://doi.org/10.11588/diglit.52720#0085
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Botzenhart

wiesen. Besonders der Seekreis war durch die Agitation von Ficklers Konstanzer
„Seeblättern“ bereits seit langem unterwühlt. Freischaren bildeten sich in der
Schweiz und in Frankreich. Hecker, der Mannheimer Advokat und Bürgerwehr-
kommandant „mit einem goldenen Herzen und einem langen Bart“29, genoß
eine fast magische Popularität, und er verbreitete um sich einen solchen Ruf von
revolutionärer Entschlossenheit und Willenskraft, daß selbst der preußische Ge-
sandte in Karlsruhe Ende März meinte, Hecker könne mit einem Wort „ein
Heer von mehr als 20 000 verzweifelter und fanatisierter Proletarier unter
seinem Befehl vereinigen“30.
Hecker selbst hat zunächst gezögert und dann doch gegen den Rat von Freun-
den losgeschlagen. Als der couragierte liberale Abgeordnete Mathy, bald darauf
Staatsrat in Baden und dann Mitglied des Reichsministeriums, unter Einsatz seines
eigenen Lebens Fickler in Mannheim verhaften ließ31, hat Hecker wohl geglaubt,
daß die badische Regierung dem revolutionären Treiben nicht mehr länger ver-
hältnismäßig untätig zusehen werde. Er begab sich nach Konstanz und rief von
hier aus am 12. April zur Erhebung für die deutsche Republik auf — ohne Geld,
ohne Organisation, ohne einen von langer Hand vorbereiteten Plan — mehr aus
Treue zu seiner Sache und zu der einmal übernommenen Rolle als auf Grund
kühler Abwägung der Chancen. Die teils sympathisierenden, teils eingeschüchter-
ten Behörden traten ihm kaum entgegen, der gerade erst wegen seiner Beliebt-
heit bei der Bevölkerung zum Regierungsdirektor in Konstanz ernannte demo-
kratische Abgeordnete Peter ließ sich von Flecker mehr freiwillig als gezwungen
zum „Statthalter“ ernennen32, aber in der Bevölkerung blieb die Stimmung
skeptisch und kühl. Immerhin gelang es Hecker, etwa 6000 Mann zu sammeln,
die in drei Kolonnen von Donaueschingen, Konstanz und Lörrach unter mög-
lichster Schonung der Bevölkerung auf Freiburg vorrückten. Der von Hecker
mit Sicherheit erwartete Übertritt regulärer Verbände erfolgte jedoch nicht, und
so wurden die an Zahl und Ausrüstung, Disziplin und Führung unterlegenen
Freischärlerkolonnen in getrennten Gefechten bei Kandern, Freiburg und Steinen
von den Truppen des 7. und 8. Bundeskorps leicht geschlagen. General Friedrich
von Gagern, der das Militär bei Kandern kommandierende Bruder des späteren
Präsidenten der Nationalversammlung, fiel hier bei Beginn des Gefechtes, nach-
dem er zuvor noch ähnlich wie früher zwei Abgesandte des 50er-Ausschusses ver-
sucht hatte, Hecker zur Aufgabe seines aussichtslosen Unternehmens zu bewegen.
Wie Struve so rettete sich auch Hecker mit vielen seiner Getreuen zunächst in
die Schweiz, im September wanderte er dann in die Vereinigten Staaten aus. Das
Scheitern seines Putschversuchs schadete seinem Ansehen und seiner Popularität
im übrigen nicht, ja es begann jetzt eigentlich erst ein wahrer Heckerkult, der
auch das Ende der Revolution überdauerte. Der Heckerzug hatte aber auch das
revolutionäre Potential im südlichen Baden nicht verbraucht, die Gärung dauerte
an, und da es der badischen Regierung weder gelang, im eigenen Land wirklich
stabile Verhältnisse zu schaffen, noch die Schweizer und französischen Behörden
29 Valentin (wie Anm. 1) Band 1, S. 496.
30 Bericht v. Arnims vom 24. März 1848, zitiert nach Valentin ebd. S. 482 f.
31 Vgl. dazu Freytag, Mathy (wie Anm. 8) S. 268 ff.
32 S. dazu J. B. Bekk, Die Bewegung in Baden vom Ende des Februar 1848 bis zur
Mitte des Mai 1849 (Mannheim 1850) S. 156 ff.
 
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