88
Botzenhart
kalen Bereich wurden „Zivilkommissare“ eingesetzt, die die örtlichen Behörden
überwachen, die Führung der Bürgerwehr übernehmen und für Sicherheit und
Ordnung sorgen sollten89. Mancher von ihnen hat seine Befugnisse überschritten
und mit diktatorischer Willkür geherrscht, andere haben selbst nach Häussers
Urteil „Schlimmes und Gewaltsames genug abgewehrt“ und „humaner und höf-
licher“ regiert „als manche Repräsentanten der badischen Bürokratie“90. Auf
ernstlichen Widerstand ist die Machtübernahme durch den Landesausschuß
nirgends gestoßen. Verwaltung und Militär wurden eidlich auf die Durchführung
der Reichsverfassung und zum Gehorsam gegenüber dem Landesausschuß ver-
pflichtet. Den widerstrebenden Ministerialbeamten in Karlsruhe wurde jedoch
ein Vorbehalt zugunsten ihres früheren Verfassungseides gestattet, die Richter
am Hof- und Oberhofgericht Mannheim, die die Eidesleistung überhaupt ver-
weigerten, blieben unangefochten im Amt. Daß es Brentano und den Ge-
mäßigten im Landesausschuß ernst war mit dem am 14. Mai gegebenen Ver-
sprechen, die Freiheit der Person und die Sicherheit des Eigentums zu wahren,
kann nicht bezweifelt werden. Ein Wunder wäre es freilich gewesen, wenn dies
immer in einem Lande gelungen wäre, das schon vorher im Zustand „gemüt-
licher Anarchie“ war.
Daß es überhaupt möglich war, unter einigermaßen regulären Bedingungen
am 3. Juni die Wahlen zur konstituierenden Landesversammlung durchzufüh-
ren und diese eine Woche später zu eröffnen, kann durchaus als Erfolg der pro-
visorischen Regierung bezeichnet werden. Unter weitgehender Wahlenthaltung
von Liberalen und Konservativen gewählt, bestand sie — soweit erkennbar —
nur aus Demokraten und Republikanern. Advokaten, Lehrer, Ärzte, Apotheker,
Wirte und einige Pfarrer prägten ihr soziales Erscheinungsbild91. Über das Maß
der in ihr anzutreffenden politischen und parlamentarischen Befähigung hat
Brentano selbst später ein vernichtendes Urteil gesprochen92. Seine Eröffnungs-
rede93 galt im wesentlichen der Rechtfertigung und dem Rückblick auf die ver-
gangenen Monate, ein Programm für die Zukunft enthielt sie nicht. Außerordent-
lich bezeichnend aber ist es vor allem, daß der seit Monaten heiß ersehnten und
stürmisch geforderten konstituierenden Versammlung kein Verfassungsentwurf
vorgelegt wurde, und sei es auch nur als Manifest der politischen Ziele und als
Zeichen der Siegeszuversicht. Auch Vorarbeiten oder Entwürfe dazu sind bislang
ebensowenig bekanntgeworden wie Ansätze zur Verwirklichung eines sozialen
Reformprogramms.
89 Die Instruktion für die Zivilkommissare ist gedruckt bei Häusser (wie Anm. 18)
S. 433 f. x
90 Häusser S. 436.
91 Liste der Abgeordneten (mit Berufsangaben) bei Häusser S. 517 f.
92 In seinem schon im Schweizer Exil veröffentlichten Aufruf vom 1. Juli 1849, Druck
bei La.utenschla.ger (wie Anm. 87) S. 489 ff.; s. dort bes. S. 494: „Eine Versammlung,
deren Mehrheit aus ganz unfähigen, gewöhnlichen Schreiern besteht, bot das kläglichste
Bild einer Volksvertretung, welche je getagt und welche ihren gänzlichen Mangel an Ein-
sicht und Kenntnissen hinter sogenannten revolutionären Anträgen verbergen sollte“. Man
muß allerdings berücksichtigen, daß dieser Aufruf in der ersten Erregung und Enttäu-
schung über die von der Versammlung gegen Brentano ausgesprochene Achtserklärung
verfaßt wurde.
93 Druck bei Häusser (wie Anm. 18) S. 521 ff.
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Botzenhart
kalen Bereich wurden „Zivilkommissare“ eingesetzt, die die örtlichen Behörden
überwachen, die Führung der Bürgerwehr übernehmen und für Sicherheit und
Ordnung sorgen sollten89. Mancher von ihnen hat seine Befugnisse überschritten
und mit diktatorischer Willkür geherrscht, andere haben selbst nach Häussers
Urteil „Schlimmes und Gewaltsames genug abgewehrt“ und „humaner und höf-
licher“ regiert „als manche Repräsentanten der badischen Bürokratie“90. Auf
ernstlichen Widerstand ist die Machtübernahme durch den Landesausschuß
nirgends gestoßen. Verwaltung und Militär wurden eidlich auf die Durchführung
der Reichsverfassung und zum Gehorsam gegenüber dem Landesausschuß ver-
pflichtet. Den widerstrebenden Ministerialbeamten in Karlsruhe wurde jedoch
ein Vorbehalt zugunsten ihres früheren Verfassungseides gestattet, die Richter
am Hof- und Oberhofgericht Mannheim, die die Eidesleistung überhaupt ver-
weigerten, blieben unangefochten im Amt. Daß es Brentano und den Ge-
mäßigten im Landesausschuß ernst war mit dem am 14. Mai gegebenen Ver-
sprechen, die Freiheit der Person und die Sicherheit des Eigentums zu wahren,
kann nicht bezweifelt werden. Ein Wunder wäre es freilich gewesen, wenn dies
immer in einem Lande gelungen wäre, das schon vorher im Zustand „gemüt-
licher Anarchie“ war.
Daß es überhaupt möglich war, unter einigermaßen regulären Bedingungen
am 3. Juni die Wahlen zur konstituierenden Landesversammlung durchzufüh-
ren und diese eine Woche später zu eröffnen, kann durchaus als Erfolg der pro-
visorischen Regierung bezeichnet werden. Unter weitgehender Wahlenthaltung
von Liberalen und Konservativen gewählt, bestand sie — soweit erkennbar —
nur aus Demokraten und Republikanern. Advokaten, Lehrer, Ärzte, Apotheker,
Wirte und einige Pfarrer prägten ihr soziales Erscheinungsbild91. Über das Maß
der in ihr anzutreffenden politischen und parlamentarischen Befähigung hat
Brentano selbst später ein vernichtendes Urteil gesprochen92. Seine Eröffnungs-
rede93 galt im wesentlichen der Rechtfertigung und dem Rückblick auf die ver-
gangenen Monate, ein Programm für die Zukunft enthielt sie nicht. Außerordent-
lich bezeichnend aber ist es vor allem, daß der seit Monaten heiß ersehnten und
stürmisch geforderten konstituierenden Versammlung kein Verfassungsentwurf
vorgelegt wurde, und sei es auch nur als Manifest der politischen Ziele und als
Zeichen der Siegeszuversicht. Auch Vorarbeiten oder Entwürfe dazu sind bislang
ebensowenig bekanntgeworden wie Ansätze zur Verwirklichung eines sozialen
Reformprogramms.
89 Die Instruktion für die Zivilkommissare ist gedruckt bei Häusser (wie Anm. 18)
S. 433 f. x
90 Häusser S. 436.
91 Liste der Abgeordneten (mit Berufsangaben) bei Häusser S. 517 f.
92 In seinem schon im Schweizer Exil veröffentlichten Aufruf vom 1. Juli 1849, Druck
bei La.utenschla.ger (wie Anm. 87) S. 489 ff.; s. dort bes. S. 494: „Eine Versammlung,
deren Mehrheit aus ganz unfähigen, gewöhnlichen Schreiern besteht, bot das kläglichste
Bild einer Volksvertretung, welche je getagt und welche ihren gänzlichen Mangel an Ein-
sicht und Kenntnissen hinter sogenannten revolutionären Anträgen verbergen sollte“. Man
muß allerdings berücksichtigen, daß dieser Aufruf in der ersten Erregung und Enttäu-
schung über die von der Versammlung gegen Brentano ausgesprochene Achtserklärung
verfaßt wurde.
93 Druck bei Häusser (wie Anm. 18) S. 521 ff.
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