Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Schäfer, Alfons [Editor]
Neue Forschungen zu Grundproblemen der badischen Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert — Oberrheinische Studien, Band 2: Karlsruhe: Kommissionsverlag G. Braun, 1973

DOI article:
Gall, Lothar: Die partei- und sozialgeschichtliche Problematik des badischen Kulturkampfs
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.52720#0127
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
114

Gall

Blieben also alle Versuche Roggenbachs, das Steuer im letzten Augenblick doch
noch herumzureißen, völlig erfolglos, da sie an der falschen Stelle ansetzten, so
zeigte sich in der folgenden Zeit um so deutlicher, wie recht er mit seiner Sorge
vor den „außenpolitischen“ Konsequenzen einer harten Auseinandersetzung mit
der katholischen Krche gehabt hatte. Diese war nun ganz ins Lager Österreichs als
der katholischen Schutzmacht übergeschwenkt — ein Prozeß, den die Wiener
Staatskanzlei nach Kräften befördert hatte: der österreichische Geschäftsträger
von Pilat unterstützte, alle diplomatischen Gepflogenheiten außer Acht lassend,
ganz offen die Führer der katholischen Bewegung51. Gleichzeitig war es der
Kirche auch vollständig gelungen, ihre Anhänger in diesem Sinne zu beein-
flussen. Neben allen vergleichsweise rationalen Gründen — traditionelle Bin-
dungen an Österreich (vor allem im ehemals vorderösterreichischen Oberland),
Erinnerungen an die Unterdrückung des badischen Aufstandes von 1849 durch
preußische Truppen, Sorge vor verstärktem wirtschaftlichen Druck durch das
stärker industrialisierte und freihändlerische Norddeutschland — wirkte dabei
am stärksten, alle diese rationalen Momente im Ressentiment verbindend, das
geschilderte Argument ex negativo. Vereinfacht formuliert: was die da in Karls-
ruhe anstreben, kann für uns nur von Übel sein. Eine Welle der Preußenfeindschaft
ging durch das Land, wobei sich die paradoxe, aber darum nicht minder folgen-
reiche Situation ergab, daß die Liberalen und Bismarck gewissermaßen in einen
Topf geworfen wurden. Hiergegen nun setzten sich die Liberalen auf das schärfste
zur Wehr, da ihnen diese Identifikation trotz ihrer Absurdität innenpolitisch
höchst gefährlich schien. Das aber bewirkte zugleich, daß die Position der ent-
51 So nahm er zum Beispiel in aller Öffentlichkeit an Besprechungen der Führer der
katholischen Bewegung im „Englischen Hof“ in Karlsruhe teil. — Vgl. in diesem Zusam-
menhang auch seine ganz einseitige Berichterstattung über die Vorgänge in Baden und die
badische Politik, die wesentlich zur Verschärfung des ohnehin gespannten Verhältnisses
zwischen Baden und der Habsburger Monarchie beigetragen hat: Quellen zur deutschen
Politik Österreichs 1859—1866, hg. H. v. Srbik, 5 Bde. (München 1934 ff.) Bd. 4,
S. 480 ff., 603 ff.; die hier nicht gedruckten Berichte Pilats für die entscheidende Zeit des
Winters 64/65 wurden mir freundlicherweise von O. P. Vetter (vgl. Anm. 35) in
Photokopien aus dem Haus-, Hof- und Staatsarchiv zugänglich gemacht. Im Anschluß an
die Mannheimer Vorfälle (Zusammenstöße zwischen ländlichen Teilnehmern an einem ge-
planten Kasino und Angehörigen der Mannheimer Bevölkerung) kam es im März 1865
sogar zu einer Intervention der österreichischen bei der badischen Regierung zugunsten der
katholischen Kirche (Quellen zur deutschen Politik Österreichs 4, S. 594 f.). Diese war we-
sentlich von Pilat ausgelöst, der in seinen Berichten behauptet hatte, es bestehe ein ernst-
hafter Dissens nicht nur zwischen Volk und Regierung, sondern auch zwischen letzterer
und dem Großherzog, und das Ministerium werde deshalb bald stürzen: „der Zeitpunkt,
einen Druck von außen beizugesellen, dürfte nicht ungünstig sein“ (Bericht vom 4.
2. 65). Gerade diese Intervention führte dann allerdings in den sich daran an-
schließenden Verhandlungen zwischen Roggenbach bzw. Edelsheim — dem badischen
Gesandten in Wien — und Mensdorff zu einer gewissen Klärung des gegenseitigen Ver-
hältnisses und schließlich sogar zur Abberufung Pilats: vgl. die Berichte Edelsheims (GLA
48/2521, bes. v. 16. 3. 65) und Quellen zur deutschen Politik Österreichs, 4 S. 743 ff. Über
Friedrich von Pilat, den zweiten Sohn des ehemaligen Privatsekretärs von Metternich,
vgl. H. v. Srbik (Anm. 14) S. 207 f. Über die die katholische Öffentlichkeit sehr
bewegenden und von der katholischen Bewegung weidlich ausgeschlachteten Mannheimer
Vorfälle vgl. die Berichte der örtlichen Behörden an das Innenministerium (GLA 236/8245)
und die breite, wenn auch tendenziöse Darstellung bei Dor (Anm. 34) S. 39 ff. Pilat
behauptete in seinen Berichten nach Wien (v. 24. 2. und 4. 3. 65) schlankweg, das Ganze
sei von der Regierung, von „Juden und Kreisschulräten“ inszeniert worden.
 
Annotationen