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Schäfer, Alfons [Editor]
Neue Forschungen zu Grundproblemen der badischen Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert — Oberrheinische Studien, Band 2: Karlsruhe: Kommissionsverlag G. Braun, 1973

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Kaller, Gerhard: Zur Revolution von1918 in Baden: Klumpp-Putsch und Verfassungsfrage
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https://doi.org/10.11588/diglit.52720#0213
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198

Kaller

Bei der Aufgliederung der Ministerien bleibt es vorerst noch bei dem klassischen
Schema (Äußeres, Inneres, Finanz, Justiz, Bildungswesen, Volkswohlfahrt, Ver-
kehr). Der Abschnitt über die Rechtspflege verkündet die Aufhebung der Todes-
strafe, ein eigener Abschnitt beschäftigt sich mit der Volkswehr. Ähnlich wie der
Kommissionsentwurf erfuhr auch der Vorentwurf der Volksräte eine Umarbei-
tung und erschien im Jahr 1919 in einer zweiten erweiterten Auflage. Dem Ent-
wurf war nun eine ausführliche Einführung vorangestellt (7 Druckseiten, der
Verfassungstext selbst hat etwa die gleiche Länge). Die Repräsentation durch eine
gestaffelte Rätevertretung ist weiterhin für den Entwurf charakteristisch, nur die
Zahl der Personen je Repräsentant wurde erhöht, von 100 auf 120 bei den loka-
len Volksräten. Der Bezirksrat sollte nur mehr aus 150 statt aus 200 Delegierten
bestehen. Die Zahl der Mitglieder des Rätehauses stieg von 60 auf 80, der Zen-
tralvollzugsausschuß wurde auf 5 (früher 7) Personen verkleinert. Die Zahl
der Ministerien, die auch weiterhin der Zahl der Zentralvollzugsratsmitglieder
entsprach, verringerte sich daher auch auf 5, wobei einige der klassischen Res-
sorts in größeren Einheiten mituntergebracht wurden. Das Außenministerium
umfaßte gleichzeitig Volkswehr und Milizwesen, also das Ministerium für mili-
tärische Angelegenheiten, die Ressorts Wirtschaft und Finanzen waren in einem
Ministerium vereinigt, das Justizwesen gehörte zum Ministerium für soziale An-
gelegenheiten. Es folgte das Ministerium für kulturelle Angelegenheiten und
schließlich das Ministerium für Volkswohlfahrt und Sicherheit, das etwa dem
alten Innenministerium entsprach. In der Benennung der Ministerien war wieder
der Bezug auf den Menschen in den Vordergrund gerückt (soziale Angelegen-
heiten, Volkswohlfahrt). Auch die einleitenden Grundrechte des werktätigen
Volkes wurden erweitert, und zwar von 10 auf 13 Paragraphen. Der Begriff
„werktätig“ wurde nun auch in der Einleitung erläutert. Ein Teil des Volkes war
also nicht vollberechtigt bzw. wurde dies nur durch materielle Opfer. Im Text
der Einleitung heißt es: „Dem [der Arbeit] wird sich im sozialistischen Staate
auch gar kein Volksgenosse entziehen können, denn ein Rentnerdasein wird
dann niemandem mehr zu führen möglich sein“. Kapitalisten sind demnach keine
Vollbürger, sie werden es nur, wenn sie produktiv arbeiten. Der Staat kann die
Volksgenossen zur Arbeit zwingen, das Leben von den Erträgnissen des Besitzes
verhindern, was auf geplante Enteignungen schließen läßt, selbst wenn an keine
gewaltsame Nivellierung gedacht war. Auf der anderen Seite werden dem Volks-
genossen die Vorteile des Wohlfahrtsstaates angeboten: Schulgeldfreiheit, Kran-
kenversorgung, unentgeltliche Rechtspflege (einschließlich unentgeltlichen Rechts-
beistands).
Parlamentarische Behandlung und Entscheidung
Am 30. Dezember 1918 fand eine Kabinettssitzung statt, auf der eine wichtige
Vorentscheidung in der Verfassungsfrage fiel. Außenminister Dietrich hatte an
einer Konferenz der süddeutschen Staaten in Stuttgart teilgenommen, auf der
neben Ernährungsfragen auch die Aufstellung einheitlicher Grundsätze über die
Verfassung der Bundesstaaten und die Gründung einer gemeinschaftlichen poli-
tischen Organisation der süddeutschen Staaten besprochen wurden. Dort herrschte
Einmütigkeit darüber, daß nur eine Kammer eingerichtet werden sollte. Dies
 
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