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Schäfer, Alfons [Editor]
Neue Forschungen zu Grundproblemen der badischen Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert — Oberrheinische Studien, Band 2: Karlsruhe: Kommissionsverlag G. Braun, 1973

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Zier, Hans Georg: Die Industrialisierung des Karlsruher Raumes: ein Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte Badens
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https://doi.org/10.11588/diglit.52720#0378
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Die Industrialisierung des Karlsruher Raumes

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in dem Bericht des Bezirksamts Ettlingen geschildert: „Daß Fabriken geübte
tüchtige Arbeiter aus anderen gleichen Industrieanstalten an sich zu ziehen su-
chen, indem sie ihnen bessere Bedingungen zusichern, dieses liegt in der Natur
des industriellen Treibens, ist öfters durch den Drang der Verhältnisse geboten
und in unseren Gesetzen nicht untersagt. Es muß nur auffallen, daß die hiesige
Fabrik darüber sich so sehr entrüstet, während sie früher, im Beginn ihrer Un-
ternehmung, ganz offen mit den Arbeitern der Elsässer Fabriken ein gleiches
System vielleicht in weit größerem Maßstab befolgt hat. Durch die Gesetzgebung
einem solchen Treiben ein Ende zu machen, dieses halten wir einesteils nicht wohl
für möglich, andernteils zu sehr in die persönliche Freiheit eingreifend“.
Es ist zu unterscheiden zwischen den Arbeitern, die in ihrem Dorf wohnen,
aber in einem entfernten Betrieb arbeiten, also den heutigen „Pendlern“, und
den Arbeitern, die am Fabrikort wohnen. Pendler gab und gibt es im Raum
Karlsruhe sehr viele. Man denke nur an die Bewohner der Dörfer auf den Alb-
höhen, die in der Spinnerei Ettlingen arbeiten, oder an die Arbeiter der Zucker-
fabrik Waghäusel, die — meist zu Fuß — aus der ganzen Umgebung kamen.
Für sie gab es Wohnmöglichkeiten im Heimatdorf, vielfach im familieneigenen
Haus, was immer eine wesentliche Ersparnis mit sich brachte. Ungleich schwerer
hatten es diejenigen, die ihren Wohnsitz an den Arbeitsort verlegt hatten. Ihnen
boten sich meist nur teure und dazu minderwertige Unterkunftsmöglichkeiten. Der
Vergleich mit den heutigen Gastarbeiterunterkünften liegt nahe. In den zehn
Städten Karlsruhe, Mannheim, Freiburg, Heidelberg, Pforzheim, Konstanz, Lahr,
Baden-Baden, Weinheim und Lörrach betrug in den Jahren 1852—1855 die
Steigerung der Gesamteinwohnerzahl 3,5 °/o, für alle diese Städte betrug die Zu-
nahme der unter der Bezeichnung „Geschäftsgehülfen und Dienstboten“ zusam-
mengefaßten Arbeitnehmer 12,76%, in einigen Fabrikstädten wie Pforzheim
und Lörrach sogar fast 25 °/o. Aus der Statistik greifen wir die Zahlen für Karls-
ruhe heraus:

1852
1855
Familien
4231
4273
Bevölkerung
24299
25163
Geschäftsgehilfen und Dienstboten
männlich
1931
2167
weiblich
2500
2407
zusammen
4431
4574

Eine nähere Untersuchung der Zahlen führt sofort zu dem Kernpunkt des Pro-
blems: einer Zunahme von 42 Familien steht eine Zunahme um 964 Personen
gegenüber, von diesen gehören 143 zur „arbeitenden Classe“. Auf einen solchen
jahrelang anhaltenden Zustrom war eine Stadt wie Karlsruhe nicht eingerichtet.
Auf der Stadtgemarkung gab es, wie oben erwähnt, kaum Ausdehnungsmöglich-
keit, so blieb nur übrig, die vorhandenen Flächen so rationell wie möglich zu be-
bauen. Die anderswo, etwa in den „Mittheilungen des Berliner Centralvereins
für das Wohl der arbeitenden Classen“, so eingehend diskutierte Frage, ob für
den Bau von Arbeiterwohnungen das Kasernen-System oder das Vereinzelungs-
System besser sei, wurde in Karlsruhe nicht akut, da weder für Arbeiter-Kaser-
nen noch für kleine Einzelhäuser Platz war. Die Wohnbautätigkeit von 1840
 
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