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Schäfer, Alfons [Editor]
Neue Forschungen zu Grundproblemen der badischen Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert — Oberrheinische Studien, Band 2: Karlsruhe: Kommissionsverlag G. Braun, 1973

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Rehberger, Horst: Die Gleichschaltung des Landes Baden 1932/33
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https://doi.org/10.11588/diglit.52720#0223
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208

Rehberger

gesetzter Auffassung war, berief der Landesvorsitzende auf den 27. November
einen außerordentlichen Parteitag nach Offenburg ein, der das letzte Wort spre-
chen sollte. Das Votum des Parteitags konnte kaum zweifelhaft sein. Auch der
zwei Tage zuvor, am 25. November, gefaßte Beschluß des Zentrums, eine Ab-
lehnung des Konkordats durch die SPD mit der Aufkündigung der Koalition zu
beantworten, stimmte die SPD nicht um. Im Gegenteil! Die Ablehnung der Kir-
chenverträge war für die SPD jetzt geradezu eine Prestigefrage geworden. Sollte
man sich etwa einem Ultimatum des Zentrums beugen? Einstimmig wurde die
SPD-Landtagsfraktion zur Ablehnung der Kirchenverträge verpflichtet.
Der Beschluß des SPD-Parteitags besiegelte das Schicksal der Koalition. Damit
hatte aber auch das Staatsministerium seine Landtagsmehrheit eingebüßt. Von
den 88 Abgeordneten standen nur noch 35 Zentrums- und 6 DVP-Abgeordnete
hinter der Landesregierung. Wenn es den beiden übriggebliebenen Koalitions-
parteien nicht umgehend gelang, eine weitere Partei für die Mitarbeit zu ge-
winnen, so mußten nicht nur das Konkordat und der Vertrag mit der evangeli-
schen Kirche scheitern; auch das Staatsministerium konnte jederzeit gestürzt wer-
den. Buchstäblich in letzter Minute gelang es dem Zentrumsvorsitzenden Prälat
Dr. Föhr, die Wirtschaftspartei zur Unterstützung der Kirchenverträge im Land-
tag und zur Beteiligung an der Regierung zu bewegen. Im Landtag verfügten
Zentrum, DVP und Wirtschaftspartei über insgesamt 44 der 88 Abgeordneten.
Da jedoch bei Stimmengleichheit im Landtag nach der Landesverfassung der
Landtagspräsident mit seiner Stimme den Ausschlag gab und Landtagspräsident
Duffner dem Zentrum angehörte, verfügten die drei Parteien über eine — aller-
dings denkbar knappe — Stimmenmehrheit.
Die erste Bewährungsprobe bestanden die Regierungsparteien, als am 2. De-
zember in erster Lesung über die Kirchenverträge abgestimmt wurde. 44 Ab-
geordnete stimmten für, 44 gegen die beiden Kirchenverträge. Durch den Stich-
entscheid des Landtagspräsidenten wurden sie mit 45 gegen 44 Stimmen ange-
nommen. In der zweiten Lesung am 9. Dezember wurden sie dann mit 44 gegen
42 Stimmen akzeptiert, da zwei Abgeordnete der Opposition an der betreffen-
den Abstimmung nicht hatten teilnehmen können. Das Konkordat schien mit
dieser Abstimmung gesichert. Zwar konnten die Verträge nach der Landesver-
fassung erst nach Ablauf von drei Monaten, frühestens also am 10. März, ver-
kündet werden und dann nach Austausch der Ratifikationsurkunden in Kraft
treten. Da Landtagsneuwahlen jedoch erst im Herbst 1933 anstanden, schienen
Besorgnisse unbegründet zu sein.
Nach der Verabschiedung der Kirchenverträge vervollständigten die Koali-
tionsparteien absprachegemäß zu Beginn des Jahres 1933 die Regierung. Justiz-
minister Schmitt übernahm wieder das Amt des Staatspräsidenten. Vertreter des
Staatspräsidenten wurde Finanzminister Mattes, während der Volksparteiler
Dr. Umhauer den vakanten Posten des Innenministers erhielt.
5) Durch den Streit um die Kirchenverträge und die Folgen dieses Konflikts
hatte sich in den letzten Monaten des Jahres 1932 und zu Beginn des Jahres 1933
das politische Interesse in Baden vorübergehend stärker auf die landesinternen
Vorgänge konzentriert. Als Reichspräsident von Hindenburg am 30. Januar 1933
den Führer der NSDAP mit dem Reichskanzleramt betraute, traten die landes-
politischen Ereignisse wieder ganz in den Schatten der Reichspolitik zurück.
 
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