Das Elsaß und die deutsche Widerstandsbewegung
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ein langes Schreiben an Petain im Namen der elsässischen Flüchtlinge und Aus-
gewiesenen, redigiert von Rechtsanwalt Kalb aus Colmar, der seit Oktober 1940
in Lyon einen Nachrichtendienst aufgezogen hatte, und schließlich dessen Unter-
schriftensammlung, im Namen der „18 000 elsaß-lothringischen Kriegsfreiwilli-
gen“ 25. Acht Tage nach der Zusammenkunft der elsässischen und lothringischen
Parlamentarier schrieb der Vichy-Korrespondent der „Basler Nachrichten“: Admi-
ral Darlan wird nicht müde, dem Publikum die allgemeine Lage und die Beweg-
gründe der Regierungspolitik auseinanderzusetzen . . . Wenn Darlan davon
spricht, daß Frankreich „zahlreicher Departements und bedeutender überseeischer
Gebiete“ beraubt werden könnte, so denkt man daran, daß er vor einigen Wo-
chen auf dem Obersalzberg Adolf Hitler gegenüb er gestanden war. Aber der
Admiral eröffnet nicht nur diese schwarze Perspektive, sondern auch die des
ehrenvollen Friedens, der Frankreich einen würdigen Platz in Europa und den
Besitz seines Imperiums sichert . . .
Und nun die historischen Tatsachen: Schon am 18. Juni 1941 erfährt Senator
Chan. Müller von Regierungsseite, daß es sich in Berchtesgaden keineswegs um
die Unterzeichnung eines Sonderfriedens handelte, daß man aber die Idee eines
Sonderstatus für Elsaß und Lothringen nicht aufgegeben habe, eine Formel, die
weniger fatal wäre als die kurze und bündige Annektion durch das Reich. So
kann man nachträglich feststellen, daß sich die Regierung in Vichy, Laval und
Rosse, bei aller unterschiedlicher Formulierung auf der gleichen Linie befanden.
Laut Robert Aron steht fest, daß Darlan bis Ende Mai 1941 „ein Minimum von
territorialen Verlusten“ im Mutterland und in den Kolonien ins Auge faßte 26
(Mitteilung vom 14. Mai an die Generalgouverneure der Kolonien).
Die Forderung politischer Konzessionen, von Darlan im Rahmenprotokoll vom
28. Mai 1941 zu den sogenannten „Pariser Protokollen“ formuliert, verhinderte
nicht nur die Ratifizierung, sondern ging auch einzelnen Mitgliedern des Mini-
sterrats nicht weit genug. Als der am 2. Juni in Vichy eingetroffene General
Weygand die Ratifizierung der „Pariser Protokolle“ bekämpfte, standen auf
seiner Seite nicht nur Petain, sondern auch Darlan, der die Ratifikation jetzt von
noch größeren politischen Konzessionen abhängig machen wollte. Die Liste wurde
von Darlan neu redigiert und vom Ministerrat, in Anwesenheit des Generals Wey-
gand und der Generalgouverneure Boisson und Esteva, in seiner Sitzung vom
6. Juni genehmigt.
Das betr. Dokument wurde bereits am 7. Juni Abetz in Paris übergeben. Wäh-
rend der nächsten Wochen erreichten die Kämpfe in Syrien ihren Höhepunkt, und
am 12. Juli erfolgte die Kapitulation von General Dentz. In der Zwischen-
zeit konnte Darlan nicht an die Öffentlichkeit treten, und den Gerüchten in Vichy
war keine Schranke gesetzt. Daher die Unruhe und die allseitigen Kombinatio-
nen. Benoist-Mechin erklärte in seinem Prozeß nach 1945: Man suchte aus dem
unilateralen Waffenstillstandssystem von Wiesbaden in das Verhältnis eines
Vertragspartners zu kommen.
25 Es handelte sich um die Kriegsfreiwilligen der Jahre 1914/18, von denen rund 12 000
bereits vor 1914 in Frankreich Wohnsitz genommen hatten, dort verheiratet waren usw.
So auch „Das Elsaß von 1870—1932“, Band 1 (Colmar 1936) S. 325 ff.
26 Robert Aron, L’Histoire de Vichy (wie Anm. 1) S. 435/445.
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ein langes Schreiben an Petain im Namen der elsässischen Flüchtlinge und Aus-
gewiesenen, redigiert von Rechtsanwalt Kalb aus Colmar, der seit Oktober 1940
in Lyon einen Nachrichtendienst aufgezogen hatte, und schließlich dessen Unter-
schriftensammlung, im Namen der „18 000 elsaß-lothringischen Kriegsfreiwilli-
gen“ 25. Acht Tage nach der Zusammenkunft der elsässischen und lothringischen
Parlamentarier schrieb der Vichy-Korrespondent der „Basler Nachrichten“: Admi-
ral Darlan wird nicht müde, dem Publikum die allgemeine Lage und die Beweg-
gründe der Regierungspolitik auseinanderzusetzen . . . Wenn Darlan davon
spricht, daß Frankreich „zahlreicher Departements und bedeutender überseeischer
Gebiete“ beraubt werden könnte, so denkt man daran, daß er vor einigen Wo-
chen auf dem Obersalzberg Adolf Hitler gegenüb er gestanden war. Aber der
Admiral eröffnet nicht nur diese schwarze Perspektive, sondern auch die des
ehrenvollen Friedens, der Frankreich einen würdigen Platz in Europa und den
Besitz seines Imperiums sichert . . .
Und nun die historischen Tatsachen: Schon am 18. Juni 1941 erfährt Senator
Chan. Müller von Regierungsseite, daß es sich in Berchtesgaden keineswegs um
die Unterzeichnung eines Sonderfriedens handelte, daß man aber die Idee eines
Sonderstatus für Elsaß und Lothringen nicht aufgegeben habe, eine Formel, die
weniger fatal wäre als die kurze und bündige Annektion durch das Reich. So
kann man nachträglich feststellen, daß sich die Regierung in Vichy, Laval und
Rosse, bei aller unterschiedlicher Formulierung auf der gleichen Linie befanden.
Laut Robert Aron steht fest, daß Darlan bis Ende Mai 1941 „ein Minimum von
territorialen Verlusten“ im Mutterland und in den Kolonien ins Auge faßte 26
(Mitteilung vom 14. Mai an die Generalgouverneure der Kolonien).
Die Forderung politischer Konzessionen, von Darlan im Rahmenprotokoll vom
28. Mai 1941 zu den sogenannten „Pariser Protokollen“ formuliert, verhinderte
nicht nur die Ratifizierung, sondern ging auch einzelnen Mitgliedern des Mini-
sterrats nicht weit genug. Als der am 2. Juni in Vichy eingetroffene General
Weygand die Ratifizierung der „Pariser Protokolle“ bekämpfte, standen auf
seiner Seite nicht nur Petain, sondern auch Darlan, der die Ratifikation jetzt von
noch größeren politischen Konzessionen abhängig machen wollte. Die Liste wurde
von Darlan neu redigiert und vom Ministerrat, in Anwesenheit des Generals Wey-
gand und der Generalgouverneure Boisson und Esteva, in seiner Sitzung vom
6. Juni genehmigt.
Das betr. Dokument wurde bereits am 7. Juni Abetz in Paris übergeben. Wäh-
rend der nächsten Wochen erreichten die Kämpfe in Syrien ihren Höhepunkt, und
am 12. Juli erfolgte die Kapitulation von General Dentz. In der Zwischen-
zeit konnte Darlan nicht an die Öffentlichkeit treten, und den Gerüchten in Vichy
war keine Schranke gesetzt. Daher die Unruhe und die allseitigen Kombinatio-
nen. Benoist-Mechin erklärte in seinem Prozeß nach 1945: Man suchte aus dem
unilateralen Waffenstillstandssystem von Wiesbaden in das Verhältnis eines
Vertragspartners zu kommen.
25 Es handelte sich um die Kriegsfreiwilligen der Jahre 1914/18, von denen rund 12 000
bereits vor 1914 in Frankreich Wohnsitz genommen hatten, dort verheiratet waren usw.
So auch „Das Elsaß von 1870—1932“, Band 1 (Colmar 1936) S. 325 ff.
26 Robert Aron, L’Histoire de Vichy (wie Anm. 1) S. 435/445.