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Schwarzmaier
sprechen, sie würden versuchen, durch eine entschiedene Haltung, durch Freiheit
der Gesinnung und des Wortes, durch Wahrhaftigkeit und Redlichkeit das schwer
erschütterte Vertrauen des Volkes zur Presse wieder herzustellen, so steht es auch
in vielen anderen Zeitungen45.
Man könnte solche Sätze als Phrasen abtun, als journalistische Pflichtübungen
oder gar als Zeichen heuchlerischer Liebedienerei gegenüber den Alliierten, die
eine strenge Pressezensur ausübten, als eine reine Umstellung der Sprache bei
gleichbleibender Gesinnung. Aber die Töne sind doch zu echt, die hier angeschla-
gen werden. Keine noch so rigorose Gehirnwäsche hätte es fertiggebracht, binnen
weniger Monate den Sprachstil der Presse umzukrempeln; vielmehr haben tat-
sächlich neue Leute eine andere Sprache gesprochen, die nicht generell die Sprache
der Alliierten bzw. der jeweiligen Besatzungsmacht war (wobei gewiß die rigo-
rose Zensur durch die Militärregierung nicht verkannt oder verharmlost werden
soll). Hauptthema war die Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus,
während man sich an die Begriffe „Freiheit“ und „Demokratie“ erst allmählich
und stufenweise herantastete. Und doch haben die Zeitungen einen beachtlichen
Beitrag zum Aufbau der Demokratie geleistet. Die Arbeit der ersten Zeit war ja
von einem hohen moralischen Anspruch geprägt: journalistische Routine war
nicht gefragt. So kommt es, daß — trotz Papierknappheit — im ersten Nachkriegs-
jahr eine Flut von Zeitungen, Zeitschriften, Magazinen entstand, in denen Künst-
ler, Gelehrte und Politiker ihre Auffassung über den künftigen Weg Deutschlands
zur Diskussion stellten46. Der daraus resultierende Reichtum an geistigen Manife-
stationen ist charakteristisch für eine Notzeit. Oder um es anders zu sagen: das
eigentliche deutsche Wunder der Nachkriegsjahre war nicht das in der Währungs-
reform von 1948 gipfelnde Wirtschaftswunder. Es zeigte sich vielmehr darin,
daß nach einer Katastrophe noch nie dagewesenen Ausmaßes eine echte und wahr-
hafte Bemühung um geistige Neuformung stattfand, die sich in einer Fülle litera-
rischer und künstlerischer Aktivitäten äußerte. Die Presse hatte daran entschei-
denden Anteil.
Wir blicken zurück auf die ersten Zeitungen der Nachkriegszeit, um nach ihren
regionalen Eigenheiten zu fragen. Von den verschiedenartigen Intentionen der
Besatzungsmächte wurde schon gesprochen und damit von einer recht unterschied-
lichen Zielsetzung der 1945 erscheinenden Lizenzblätter. Auch die inneren Span-
nungen zwischen den Siegermächten und der Versuch der Franzosen, sich unter
diesen einen adäquaten Platz zu sichern, bestimmte die Artikel der unmittel-
baren Nachkriegszeit in der jeweiligen Zone47. Während die allgemeine Demo-
45 Vgl. den Artikel von Th. Heuss in der Rhein-Neckar-Zeitung vom 5. 9. 1945 über
die Aufgaben der deutschen Presse, abgedruckt in: Th. Heuss. Der Mann, dasWerk, die Zeit.
Ausstellung im Schiller-Nationalmuseum Marbach (1967), Katalog S. 276 f.
46 Hier ist bewußt — von der Fragestellung der Information für die Bevölkerung aus-
gehend — nur die parteiunabhängige Tagespresse herangezogen worden. Gerade der Blick
auf die politischen und kulturpolitischen Zeitschriften und Magazine unterstreicht die
Vorstellung von einer „Literaturschwemme“ in den Jahren nach 1945/46, die das Ge-
samtbild jener Zeit bestimmt. Information wurde in unserem Zusammenhang vordergrün-
dig gefaßt: Berichte zum Tagesgeschehen.
47 Im Hinblick auf die französische Besatzungspolitik formulierte dies etwa Carlo
Schmid, Deutschlands Weg seit 1945, in: Politik als geistige Aufgabe. Ges. Werke Band 1
(1973) S. 321 f.
Schwarzmaier
sprechen, sie würden versuchen, durch eine entschiedene Haltung, durch Freiheit
der Gesinnung und des Wortes, durch Wahrhaftigkeit und Redlichkeit das schwer
erschütterte Vertrauen des Volkes zur Presse wieder herzustellen, so steht es auch
in vielen anderen Zeitungen45.
Man könnte solche Sätze als Phrasen abtun, als journalistische Pflichtübungen
oder gar als Zeichen heuchlerischer Liebedienerei gegenüber den Alliierten, die
eine strenge Pressezensur ausübten, als eine reine Umstellung der Sprache bei
gleichbleibender Gesinnung. Aber die Töne sind doch zu echt, die hier angeschla-
gen werden. Keine noch so rigorose Gehirnwäsche hätte es fertiggebracht, binnen
weniger Monate den Sprachstil der Presse umzukrempeln; vielmehr haben tat-
sächlich neue Leute eine andere Sprache gesprochen, die nicht generell die Sprache
der Alliierten bzw. der jeweiligen Besatzungsmacht war (wobei gewiß die rigo-
rose Zensur durch die Militärregierung nicht verkannt oder verharmlost werden
soll). Hauptthema war die Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus,
während man sich an die Begriffe „Freiheit“ und „Demokratie“ erst allmählich
und stufenweise herantastete. Und doch haben die Zeitungen einen beachtlichen
Beitrag zum Aufbau der Demokratie geleistet. Die Arbeit der ersten Zeit war ja
von einem hohen moralischen Anspruch geprägt: journalistische Routine war
nicht gefragt. So kommt es, daß — trotz Papierknappheit — im ersten Nachkriegs-
jahr eine Flut von Zeitungen, Zeitschriften, Magazinen entstand, in denen Künst-
ler, Gelehrte und Politiker ihre Auffassung über den künftigen Weg Deutschlands
zur Diskussion stellten46. Der daraus resultierende Reichtum an geistigen Manife-
stationen ist charakteristisch für eine Notzeit. Oder um es anders zu sagen: das
eigentliche deutsche Wunder der Nachkriegsjahre war nicht das in der Währungs-
reform von 1948 gipfelnde Wirtschaftswunder. Es zeigte sich vielmehr darin,
daß nach einer Katastrophe noch nie dagewesenen Ausmaßes eine echte und wahr-
hafte Bemühung um geistige Neuformung stattfand, die sich in einer Fülle litera-
rischer und künstlerischer Aktivitäten äußerte. Die Presse hatte daran entschei-
denden Anteil.
Wir blicken zurück auf die ersten Zeitungen der Nachkriegszeit, um nach ihren
regionalen Eigenheiten zu fragen. Von den verschiedenartigen Intentionen der
Besatzungsmächte wurde schon gesprochen und damit von einer recht unterschied-
lichen Zielsetzung der 1945 erscheinenden Lizenzblätter. Auch die inneren Span-
nungen zwischen den Siegermächten und der Versuch der Franzosen, sich unter
diesen einen adäquaten Platz zu sichern, bestimmte die Artikel der unmittel-
baren Nachkriegszeit in der jeweiligen Zone47. Während die allgemeine Demo-
45 Vgl. den Artikel von Th. Heuss in der Rhein-Neckar-Zeitung vom 5. 9. 1945 über
die Aufgaben der deutschen Presse, abgedruckt in: Th. Heuss. Der Mann, dasWerk, die Zeit.
Ausstellung im Schiller-Nationalmuseum Marbach (1967), Katalog S. 276 f.
46 Hier ist bewußt — von der Fragestellung der Information für die Bevölkerung aus-
gehend — nur die parteiunabhängige Tagespresse herangezogen worden. Gerade der Blick
auf die politischen und kulturpolitischen Zeitschriften und Magazine unterstreicht die
Vorstellung von einer „Literaturschwemme“ in den Jahren nach 1945/46, die das Ge-
samtbild jener Zeit bestimmt. Information wurde in unserem Zusammenhang vordergrün-
dig gefaßt: Berichte zum Tagesgeschehen.
47 Im Hinblick auf die französische Besatzungspolitik formulierte dies etwa Carlo
Schmid, Deutschlands Weg seit 1945, in: Politik als geistige Aufgabe. Ges. Werke Band 1
(1973) S. 321 f.