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Schwarzmaier, Hansmartin [Editor]
Landesgeschichte und Zeitgeschichte: Kriegsende 1945 und demokratischer Neubeginn am Oberrhein — Oberrheinische Studien, Band 5: Karlsruhe: Kommissionsverlag G. Braun, 1980

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Wollasch, Hans–Josef: 1945: Die "Stunde Null" als Stunde der Caritas
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https://doi.org/10.11588/diglit.52723#0412

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Wollasch

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konzentrierten andere44 dieselbe auf einen Empfängerkreis, der noch wenig Teil-
habe an diesem wirtschaftlich-sozialen Aufschwung hatte: auf Vertriebene, Flücht-
linge, heimatlose Ausländer. Indem sie ihren Einsatz auf einem Gebiet verstärk-
ten, auf welchem die kirchlichen Hilfsorganisationen seit Jahren tätig waren,
verdichtete sich ihre Zusammenarbeit mit diesen. Ein herausgegriffenes Beispiel mag
dies andeuten: In dem kleinen Dänemark waren 1945 über 300 000 Flücht-
linge aus Ostdeutschland, ausländische ehemalige Zwangsarbeiter und verwundete
deutsche Soldaten als Treibgut des Krieges zurückgeblieben; fast 900 Flüchtlings-
lager mußten dafür unterhalten werden. Im Frühjahr 1948, als die Besatzungs-
behörden in Deutschland eine Einreise der Flüchtlinge noch immer ablehnten, über-
nahm der DCV unter Vermittlung von Caritas Dänemark von der dänischen Re-
gierung ein komplettes Hospital mit 200 tuberkulosekranken Flüchtlingen nach
Bad Rippoldsau45.
Am 1. Dezember 1945, also nur vier Wochen nach der bemerkenswerten Zentral-
ratssitzung in Salmünster, begründete Präsident Kreutz an der Freiburger Zentrale
des Caritasverbandes eine neue Abteilung „Caritas-Vertriebenen- und Flüchtlings-
hilfe“46. Sie sah sich, ebenso wie das Evangelische Hilfswerk47, einer verworrenen
Situation gegenüber. Denn Flucht und Vertreibung der Deutschen aus Ostmittel-
europa glichen in Ausmaß und Gestalt einer neuzeitlichen Völkerwanderung, die
bisherige Erfahrungen und Vorstellungsfähigkeiten weit überstieg. Diese in nega-
tiver Hinsicht einzigartige Erscheinungsform menschlichen Elends galt es in ihrem
Wesen und ihren Auswirkungen zu begreifen, um Hilfe richtig ansetzen zu kön-
nen. Dem sollten von Seiten des DCV unter anderem Analysen dienen, die
später jeder mit Flüchtlingshilfe befaßten Institution von praktischem Nutzen
wurden48. Erfahrungen in den Aufnahmediözesen Passau und Hildesheim wurden
in der gleichen Richtung ausgewertet49.
Die Caritasorganisation, ohnehin schon von ausgesprochen föderalistischem
Charakter, mußte angesichts trennender Zonengrenzen und der von Gegend zu
Gegend andersartigen Flüchtlingssituation noch stärker aufgegliedert und auf die
44 So beispielsweise Dänemark, die nordamerikanische Caritas, Belgien mit den Auf-
sehen erregenden Aktionen des „Speckpaters“ Werenfried van Straaten, die Schweizer
Europahilfe mit der bevorzugten Förderung des Wohnungsbaus von Familien im Lager
und der Berufsbildung Jugendlicher.
45 H.-J. Wollasch (wie Anm. 30), S. 37.
46 Über ihre Arbeit hat ihr Leiter einen Überblick verfaßt, der für das Folgende heran-
zuziehen ist: Erich Piischel, Die Hilfe der deutschen Caritas für Vertriebene und Flücht-
linge nach dem Zweiten Weltkrieg (1945 — 1966), hrsg. Deutscher Caritasverband, Masch.-
Vervielf., Freiburg 1972. — Sehr übersichtlich und instruktiv auch ders., Die Hilfe der
Caritas, in: Die Vertriebenen in Westdeutschland (wie Anm. 23), Bd. I (Kiel 1959)
S. 263—273.
47 Hier ist nochmals die Arbeit von H. Krimm zu nennen (wie Anm. 24).
48 Das deutsche Flüchtlingsproblem in seinen wirtschaftlichen und sozialen Zusam-
menhängen. Bericht aus dem Institut für Weltwirtschaft Kiel. Gutachten, ausgearbeitet
auf Veranlassung des Deutschen Caritasverbandes Freiburg i. Br., März 1946, Masch.-
Vervielf. (Kiel 1946). — Die wirtschaftliche Verarmung Deutschlands. Verarmungsprozeß
oder Aufbau? Gutachten, im Auftrag des Deutschen Caritasverbandes Freiburg i. Br. er-
stellt von Bernhard Pfister und Elisabeth Liefmann-Keil, Masch.- Vervielf. (Freiburg 1947).
49 Berichte darüber füllen ein Großteil der Beratungen des Zentralrats in Bamberg,
9.—11. April 1946 (Archiv DCV, 111.055 [1945—1946] ).
 
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