ARMUT UND KRANKSEIN IN DER FRÜHNEUZEITLICHEN STADT
149
Bruderschaften, die ihren Mitgliedern beispielsweise einen vorübergehenden Aufenthalt
in einem Hospital finanzierten.40
2. Doch nicht nur solches, quasi institutionalisiertes »soziales Kapital« bildete den
Hintergrund von Ansprüchen. Situationsbezogen, über besondere Handlungsweisen,
war es möglich »soziale Netze«41 zu bilden und sich auf diese zu berufen: Bürgerliche El-
tern, die in der Stadt für besondere Leistungen bekannt waren, baten um Hilfe für ihre
Kinder oder aber elterliche Verdienste wurden den Kindern angerechnet, wie hier der
folgende Eintrag im Nördlinger Ratsprotokoll illustriert: Der Nördlinger Rat genehmigte
Dorothea Vetter einen Zuschuss zum Arztlohn und begründete dies damit, dass ihre El-
tern sich in der Stadt durch viele Wohltaten ausgezeichnet hätten.42 Dienstleistungen für
die Stadt förderten die Ausbildung von »sozialen Netzen«, die generell den Zugang zu
entsprechenden Hilfeleistungen erleichterten. Verunglückte beispielsweise ein Person bei
Tätigkeiten für die städtische Gemeinschaft, so übernahm die Stadt die Kosten der Arzt-
behandlung.43 Auch längerfristige Unterstützung konnte daraus resultieren, wie das Bei-
spiel des Michel Strauß illustriert, der in eine kommunale Krankenanstalt aufgenommen
werden wollte. Die Begründung der Bewilligung lautete: er habe lang gearbeit in meiner
H. [Herren] Ar^ezt44. Sogar eine relativ hohe regelmäßige, jährliche Zahlung an einen
Schwerkranken konnte vergleichbar gerechtfertigt werden: Peter Edelor in Überlingen
erhielt 52 fl pro Jahr45: wegen seiner getrewen dienst so er gemainer Statt [...] geleist, und
[... weil er] mit einer schweren und großen Kranckheit, als dem Schlag, haimbgesuchtß
Seltener tauchen in Quellen Kranke oder ihre Fürsprecher auf, die eine Notlage for-
mulierten und damit implizit die (vorübergehende) Hilfsbedürftigkeit begründeten, ohne
sich generell als »arm« zu bezeichnen oder sich - wie soeben gezeigt - in irgendeiner
Weise auf erworbene Ansprüche zu beziehen. In diesem Zusammenhang finden sich dann
Formulierungen, in denen sich soziale Netzwerke nur andeuten. Wenn etwa ein Nördlin-
ger Bürger für zwei kranke Schwestern seiner Frau die Aufnahme ins Spital beantragte mit
der Begründung, sie hätten keine Mittel zum Unterhalt, kain erhaltungß Aber auch sum-
marische Angaben wie in Überlingen: Rosina Frickhin [habe] medicamenta von nöthenß
sind einem solchen Kontext zuzuordnen.
40 Dies ist besonders deutlich im Falle des Augsburger Pilgerhauses zu erkennen, siehe Trometer,
Pilgerhaus (wie Anm. 3), S. 33-34,49,51; gilt aber auch für Überlingen, Ulm und andere Reichs-
städte siehe Kinzelbach, Gesundbleiben (wie Anm. 1), S. 336-337.
41 Generell zur Bedeutung von Netzwerken siehe die verschiedenen Ansätze in G. Schulz, Sozi-
aler Aufstieg, Funktionseliten im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit, München 2002.
42 umb viler gutaten willen ihrer eitern Nö StA Rp 1554, f. 40v.
43 Oft sind solche Fälle nur in Abrechnungen erwähnt, wie in den Augsburger Baumeisterbü-
chern. Ein typischer Eintrag lautet in einem solchen Fall: Maister Caspar Statt artzt [wegen ei-
nes Mannes, der] ain Schenckel an meiner Hern paw abbrochen 2fl. A StA Bmb 96, f. 42v.
44 Nö StA Rp 1554, f. 70.
45 Zum Vergleich 1583: das jährliche Wartgeld für den promovierten Stadtarzt betrug 70 fl; 1566-
1569 wurden Häuser im Wert von 110-430 fl versteigert, Üb StA 1,56,77; 2,20,1022.
46 Üb StA Rp 1582, f. 316v. Weitere Beispiele siehe Kinzelbach, Gesundbleiben (wie Anm. 1),
S. 347.
47 Nö StA Rp 1554, f. 36.
48 Üb StA Rp 1629, S. 190.
149
Bruderschaften, die ihren Mitgliedern beispielsweise einen vorübergehenden Aufenthalt
in einem Hospital finanzierten.40
2. Doch nicht nur solches, quasi institutionalisiertes »soziales Kapital« bildete den
Hintergrund von Ansprüchen. Situationsbezogen, über besondere Handlungsweisen,
war es möglich »soziale Netze«41 zu bilden und sich auf diese zu berufen: Bürgerliche El-
tern, die in der Stadt für besondere Leistungen bekannt waren, baten um Hilfe für ihre
Kinder oder aber elterliche Verdienste wurden den Kindern angerechnet, wie hier der
folgende Eintrag im Nördlinger Ratsprotokoll illustriert: Der Nördlinger Rat genehmigte
Dorothea Vetter einen Zuschuss zum Arztlohn und begründete dies damit, dass ihre El-
tern sich in der Stadt durch viele Wohltaten ausgezeichnet hätten.42 Dienstleistungen für
die Stadt förderten die Ausbildung von »sozialen Netzen«, die generell den Zugang zu
entsprechenden Hilfeleistungen erleichterten. Verunglückte beispielsweise ein Person bei
Tätigkeiten für die städtische Gemeinschaft, so übernahm die Stadt die Kosten der Arzt-
behandlung.43 Auch längerfristige Unterstützung konnte daraus resultieren, wie das Bei-
spiel des Michel Strauß illustriert, der in eine kommunale Krankenanstalt aufgenommen
werden wollte. Die Begründung der Bewilligung lautete: er habe lang gearbeit in meiner
H. [Herren] Ar^ezt44. Sogar eine relativ hohe regelmäßige, jährliche Zahlung an einen
Schwerkranken konnte vergleichbar gerechtfertigt werden: Peter Edelor in Überlingen
erhielt 52 fl pro Jahr45: wegen seiner getrewen dienst so er gemainer Statt [...] geleist, und
[... weil er] mit einer schweren und großen Kranckheit, als dem Schlag, haimbgesuchtß
Seltener tauchen in Quellen Kranke oder ihre Fürsprecher auf, die eine Notlage for-
mulierten und damit implizit die (vorübergehende) Hilfsbedürftigkeit begründeten, ohne
sich generell als »arm« zu bezeichnen oder sich - wie soeben gezeigt - in irgendeiner
Weise auf erworbene Ansprüche zu beziehen. In diesem Zusammenhang finden sich dann
Formulierungen, in denen sich soziale Netzwerke nur andeuten. Wenn etwa ein Nördlin-
ger Bürger für zwei kranke Schwestern seiner Frau die Aufnahme ins Spital beantragte mit
der Begründung, sie hätten keine Mittel zum Unterhalt, kain erhaltungß Aber auch sum-
marische Angaben wie in Überlingen: Rosina Frickhin [habe] medicamenta von nöthenß
sind einem solchen Kontext zuzuordnen.
40 Dies ist besonders deutlich im Falle des Augsburger Pilgerhauses zu erkennen, siehe Trometer,
Pilgerhaus (wie Anm. 3), S. 33-34,49,51; gilt aber auch für Überlingen, Ulm und andere Reichs-
städte siehe Kinzelbach, Gesundbleiben (wie Anm. 1), S. 336-337.
41 Generell zur Bedeutung von Netzwerken siehe die verschiedenen Ansätze in G. Schulz, Sozi-
aler Aufstieg, Funktionseliten im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit, München 2002.
42 umb viler gutaten willen ihrer eitern Nö StA Rp 1554, f. 40v.
43 Oft sind solche Fälle nur in Abrechnungen erwähnt, wie in den Augsburger Baumeisterbü-
chern. Ein typischer Eintrag lautet in einem solchen Fall: Maister Caspar Statt artzt [wegen ei-
nes Mannes, der] ain Schenckel an meiner Hern paw abbrochen 2fl. A StA Bmb 96, f. 42v.
44 Nö StA Rp 1554, f. 70.
45 Zum Vergleich 1583: das jährliche Wartgeld für den promovierten Stadtarzt betrug 70 fl; 1566-
1569 wurden Häuser im Wert von 110-430 fl versteigert, Üb StA 1,56,77; 2,20,1022.
46 Üb StA Rp 1582, f. 316v. Weitere Beispiele siehe Kinzelbach, Gesundbleiben (wie Anm. 1),
S. 347.
47 Nö StA Rp 1554, f. 36.
48 Üb StA Rp 1629, S. 190.