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Österreichisches Archäologisches Institut [Hrsg.]
Jahreshefte des Österreichischen Archäologischen Institutes in Wien — 1.1898

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Szántó, Emil: Archäologisches zu Goethes Faust
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https://doi.org/10.11588/diglit.19227#0106

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Schätzung antiker Kunst antwortend, hat er in seinem Aufsatz ,Antik und
modern' den Grundsatz vertreten, dass es „keiner Zeit versagt sei, das schönste
Talent hervorzubringen, aber nicht jeder gegeben, es vollkommen zu entwickeln."
Eine solche Zeit sei die Antike gewesen, deren Kunstwerke — und das gilt
ebenso für die bildende Kunst wie für die Poesie — den Betrachter nicht wie
etwas Gemachtes anmuthen, sondern gleichsam als freie Naturerzeugnisse her-
vortreten. Wenn er als die Elemente, aus denen sich diese günstige Wirkung
zusammensetzt, die Klarheit der Ansicht, die Heiterkeit der Aufnahme und die
Leichtigkeit der Mittheilung auffasst, so sieht er diese als Qualitäten an, die aus-
schließlich oder vorzüglich dem Alterthum eigen waren. Hierin findet Goethe
den dauernden Eindruck der antiken Kunst begründet, hierin hält er sie für
vorbildlich und mustergebend auch für die moderne Zeit, In Gegensatz zu
Kunstwerken dieser Art stellt er solche, denen man die Mühe und Pein der
Production anmerkt, die, weil sie aus Reflexion erzeugt sind, wie etwas Gemachtes
erscheinen und daher im Betrachter nicht befreiend, sondern beängstigend wirken,
weil sie ihm etwas von der Pein ihrer Verfertiger mittheilen. Offenbar denkt
sich Goethe seine Forderung nur dann erreichbar, wenn der Künstler des Stoffes
völlig Meister geworden ist, die Trübung und peinvolle Wirkung aber für unaus-
weichlich, wenn der Stoff und die eigene Empfindung des Künstlers in einem
Kampf miteinander liegen, in dem keiner Sieger bleibt, so dass sich in die
objective Darstellung ein subjectives Empfinden des Künstlers mischt, das vom
Betrachter als etwas von jener Getrenntes erkannt wird. Schuld an einem solchen
Unterliegen kann aber offenbar nur der Mangel eines jener drei Elemente sein,
die die Größe der antiken Kunst begründen und die er fordert, wenn er den
Wunsch ausspricht: „Jeder sei auf seine Art ein Grieche, aber er sei's".

Wenn in diesen Ausführungen des Siebzigjährigen nur die Trennung der
Darstellung von der eigenen Empfindung des Künstlers zum Zwecke größerer
Naturwahrheit, stärkerer Illusion und der Herbeiführung kräftigeren Interesses
am Kunstwerke verlangt wird, ohne dass direct ein Zusammenhang solcher
Kunstanschauungen mit den philosophischen Überzeugungen Goethes hervor-
leuchtet, so finden wir in einer früheren Epoche seines Lebens (1805) dieselben
Forderungen schärfer und plastischer ausgesprochen und zugleich in Beziehung
zu dem pantheistischen Bekenntnis Goethes gesetzt. In seiner Charakteristik
Winckelmanns nämlich kennzeichnet er den Begründer archäologischer Wissen-
schaft als eine antike Natur und sieht deshalb in ihm den prädestinierten Inter-
preten antiker Kunstwerke. Unter antiker Natur .versteht er aber eine unge-
 
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