Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Österreichisches Archäologisches Institut [Editor]
Jahreshefte des Österreichischen Archäologischen Institutes in Wien — 1.1898

DOI article:
Wickhoff, Franz: Der zeitliche Wandel in Goethes Verhältnis zur Antike dargelegt am Faust
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.19227#0118

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
io6

Ich habe niemals ohne Rührung die Veränderungen beobachtet, die Schiller
mit Hektors Abschied vornahm. „Willst dich, Hektor, ewig mir entreißen, wo des
Aeaciden mordend Eisen dem Patroklus schrecklich Opfer bringt?" und „Theures
Weib, geh', hol' die Todeslanze, lass mich fort zum wilden Kriegestanze!" singt
Amalie in den Räubern, So sprachen nicht die Helden des epischen Dichters.
Das sind die aufgeregten Gestalten der Kunst des achtzehnten Jahrhunderts mit
fliegenden Mänteln, weit ausgreifenden Beinen und in die Luft geworfenen Armen,
wie sie Schiller auf jeder Tapete, auf jedem Kupfer an der Wand oder im Buche
sehen konnte, wie sie ihm in gebauschten Gewändern auf der Schaubühne ent-
gegentraten. Naiv war er jener Vorstellung der Antike gefolgt, die er aus
der ihn umgebenden Darstellung unwillkürlich aufgenommen hatte. Als ihn nun
Goethe auf die antike Kunst hingewiesen hatte, so wie er und seine Freunde
sie schätzten und nachbildeten, auf eine gehaltene, etwas steife Kunst, deren
edle Einfalt man vor allem schätzte, da wollten jene leidenschaftlich flatternden
Worte nicht mehr passen, und Schiller änderte sie im neuen antikisierenden Kunst-
geschmack um. „Will sich Hektor ewig von mir wenden, wo Achill mit den un-
nahbarn Händen" — heißt es jetzt, und „Theures Weib, gebiete deinen Thränen,
nach der Feldschlacht geht mein feurig Sehnen" —, Verse, die gut unter Tischbeins
Homer nach Antiken stehen oder den Vorwurf für eine zarte Composition
Angelicas bilden könnten.

Zeigt nun dieses Beispiel, wie selbst bei einem Manne, der der bildenden
Kunst ganz fremd gegenüberstand, ihre Einwirkung auf seine Darstellung mächtig
umbildend wirkte, so dürfte es berechtigt erscheinen, nach der zeitlichen
Wandlung auszublicken, die bei Goethe die Betrachtung der antiken Kunst er-
fahren hat, so weit sie sich in einem ausgedehnten Gedichte, wie im Faust,
der Beobachtung darbietet.

In der ersten Periode seines Schaffens, die uns jetzt im sogenannten Urfaust
rein vorliegt, steht er der äußeren Umgebung völlig unbefangen gegenüber.
Es ist kein Versuch gemacht, die Zeit Maximilians, in die das Schauspiel verlegt
ist, wie wir aus den ältesten Entwürfen zum zweiten Theile wissen, irgendwie zu
charakterisieren. Die Stube im Bürgerhause mit ihren Bettvorhängen, dem Groß-
vaterstuhl, mit dem sandbestreuten Boden wird geschildert, wie sie in der Zeit von
Goethes Jugend typisch war. Das Bild der Mater dolorosa mit dem Schwert im
Herzen, das sich erst am Ende des 16. Jahrhunderts verbreitet hatte, wird ohne Be-
denken verwendet, wie denn Goethe auch der Ausgabe des Fragmentes von 1790 die
Nachbildung eines Kunstwerkes des 17. Jahrhunderts, einer Radierung Rembrandts,
 
Annotationen