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Fortschreitende Auffassung des Sittlichen.

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drei Jahre, vor all dem Unheil, vor aller Bedrängnis mögen die
Wasser mich schützen" (-Vv. X, 5, 22). So wird ja im Vedaritual
überhaupt Sünde aller Art wie ein Krankheitsstoff weggewaschen,
fortgeschwemmt, weggebrannt, mit einem Wort, fortgezaubert.
Dürfen wir die Auffassung des Sittlichen, die sich hier zeigt, nicht
dahin beschreiben, daß von Zaubervorstellungen, mit denen jenes von
Anfang an untrennbar verwoben ist, hier noch ein nicht geringer
Rest ihm anhaftet?
Aber in diesen Zügen, wie sie eben aus den Texten zusammen-
gebracht wurden, kommen die Anschauungen des Zeitalters doch nur
von einer Seite zur Erscheinung. Es fehlt nicht an Äußerungen,
in denen anderseits die Herauslösung des Sittlichen aus seinen Um-
hüllungen sehr viel weiter vorgeschritten erscheint. Im Vollzieher
einer gewissen Lustration, so wird gesagt, „bleibt nicht soviel Sünden-
schuld zurück wie in einem zahnlosen Kind" (8L. IV, 4, 5, 23; vgl.
XVIII, 1, 24); in einem andern Text: „So viel Sündenschuld
wie bei einem Kinde während der Geburt, so viel bleibt in ihm"
(X. XXXVI, 5), was doch wohl bedeutet: gar keine. Wird hier
auch auf der einen Seite rein äußerlich dem Ritus reinigende Kraft
beigelegt, so geht doch anderseits die Vorstellung offenbar dahin, daß
der Neugeborene sündlos, das kleine Kind fast sündlos ist: womit
offenbar die Sünde, unter Zurückdrängung des Gedankens an Er-
erbung oder mechanisches Anstiegen von außen her, in das eigne
Tun verlegt wirdi Vollends die Vorschriften oder Ratschläge —
freilich etwas jüngerer Zeit angehörend —, in welcher Gesinnung
man Gaben spenden soll still. I, II, 3, s. unten), dürfen als Denk-
mal einer fortgeschritteneren Auffassung des Sittlichen, der Verschie-
bung des Schwerpunkts vom bloßen Tun zum inneren Fühlen an-
1. Sehr viel weniger aufgeklärt urteilt über die Sündigkeit sogar des
ungebornen Kindes III, 7, 12, 3f. — Hier möchte ich auf gelegentlich sich
findende typische Äußerungen Hinweisen, die im Ton einer gewissen Vorurteils-
losigkeit irgend eine rituelle Beschränkung als überflüssig hinstellen. Nachdem
die Rede davon gewesen ist, daß man kein Rindfleisch essen soll: „MjSavalkya
aber sprach: Was mich angeht, so esse ich es, wenn es nur gut ist". Nach Be-
sprechung der Regeln für die Wahl eines Opferplatzes: „Sätyayajüa sprach:
Die ganze Göttin Erde ist ein Opferplatz. Man braucht auf ihr nur wo man
will die Stätte mit einem Opferspruch zu weihen und mag dann opfern" (8L.
III, 1, 2, 21; 1, 1, 4; s. auch II, 6, 3, 17). Zeigt sich hier nicht unter den
im Ganzen sehr gleichartigen Gedankenmassen der Brähmanas die Spur indivi-
dueller Denkweise?
Oldenberg: Weltanschauung der Brahmanatexie. 14
 
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