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Sittlichkeitszauber.
auch, sobald der Seelenwauderuugsglaube aufkommt, die Vorstellung,
daß „der Mensch in die Welt hineingeboren wird, die er sich selbst
geschaffen hat" (8L. VI, 2, 2, 27), ist doch gleichfalls vorhanden
und gewinnt entsprechend dem oft hervorgehobenen Schwächerwerden
des Götterglaubens diesem gegenüber an Gewicht, ohne freilich selbst
für jetzt schon zu durchaus fester Gestalt gelangt zu fein. Dieser
die Götter mehr oder mindert umgehende Glaube aber an mechani-
sche Lohn- und Strafewirkung der Taten, an Macht hinter dem
alles überwiegenden Vertrauen aus Riten und Zauber jetzt noch
zurückstehend, ist selbst — wir greifen hier auf oben (S. 195 f.) Be-
merktes zurück — durch einen starken Anflug von Zauberglauben
bezeichnet. Wenn schon an sich für die Auffassung der Vedazeit in
allem Geschehen das Wirkliche sich fortwährend mit Zauberhaftem
mischt, konnte solche Mischung am wenigsten da ausbleiben, wo so
Verborgenes wie die sittlichen Ordnungen und ihre geheimnisvolle
Wirkung auf die menschlichen Geschicke in Frage kam. Es ist in
der Tat wohl nicht zuviel behauptet, daß an der Stelle, die für
unser Bewußtsein sittliches Handeln einnimmt, in der Brähmanazeit
häufig etwas steht, das man als Sittlichkeitszauber beschreiben möchte,
ähnlich wie die primitive Rechts- und ärztliche Praxis oft eine Art
Zauberhandlung ist, wie die vedisch-priesterliche Wortkunst und Be-
handlung der Sprachlaute oder in den Upanishaden die religiös-
philosophische Disputation^ eine Seite hat, nach der sie sich als
Zaubervorgang darstellt. Man sehe etwa, wie einige Stellen der
Brähmanas das Gebot der Wahrhaftigkeit behandeln. Im Eingang
der Nacht hat man eine gewisse Opferformel zu sprechen, die Wahres
besagt. „Wenn man dann auch hinterher Unwahres redet, so hat
man (damit) doch die Wahrheit gesprochen. Denn im Eingang der
Nacht redet man die Wahrheit" (LL. II, 8). An einer bestimmten
Stelle des Ritus badet man, wird man mit Darbhagras gereinigt.
Denn der Mensch ist unrein, da er die Unwahrheit spricht; durch
das Wasser, durch das Gras wird er gereinigt (8L. III, 1, 2,10;
3, 18). „Was wir Unwahrheit geredet haben während der letzten
1. Mehr oder minder, sage ich. Denn natürlich fließen die verschiedenen
Vorstellungsweisen leicht in schwankenden Verhältnissen durch einander. So ist
später den Buddhisten, bei denen der Glaube an die mechanische Wirkung der
Taten dominiert, das Eingreifen eines göttlichen Richters darum doch keines-
wegs fremd (s. meinen „Buddha"", 263).
2. Vgl. meine „Lehre der Upanifhaden" 171 f.
Sittlichkeitszauber.
auch, sobald der Seelenwauderuugsglaube aufkommt, die Vorstellung,
daß „der Mensch in die Welt hineingeboren wird, die er sich selbst
geschaffen hat" (8L. VI, 2, 2, 27), ist doch gleichfalls vorhanden
und gewinnt entsprechend dem oft hervorgehobenen Schwächerwerden
des Götterglaubens diesem gegenüber an Gewicht, ohne freilich selbst
für jetzt schon zu durchaus fester Gestalt gelangt zu fein. Dieser
die Götter mehr oder mindert umgehende Glaube aber an mechani-
sche Lohn- und Strafewirkung der Taten, an Macht hinter dem
alles überwiegenden Vertrauen aus Riten und Zauber jetzt noch
zurückstehend, ist selbst — wir greifen hier auf oben (S. 195 f.) Be-
merktes zurück — durch einen starken Anflug von Zauberglauben
bezeichnet. Wenn schon an sich für die Auffassung der Vedazeit in
allem Geschehen das Wirkliche sich fortwährend mit Zauberhaftem
mischt, konnte solche Mischung am wenigsten da ausbleiben, wo so
Verborgenes wie die sittlichen Ordnungen und ihre geheimnisvolle
Wirkung auf die menschlichen Geschicke in Frage kam. Es ist in
der Tat wohl nicht zuviel behauptet, daß an der Stelle, die für
unser Bewußtsein sittliches Handeln einnimmt, in der Brähmanazeit
häufig etwas steht, das man als Sittlichkeitszauber beschreiben möchte,
ähnlich wie die primitive Rechts- und ärztliche Praxis oft eine Art
Zauberhandlung ist, wie die vedisch-priesterliche Wortkunst und Be-
handlung der Sprachlaute oder in den Upanishaden die religiös-
philosophische Disputation^ eine Seite hat, nach der sie sich als
Zaubervorgang darstellt. Man sehe etwa, wie einige Stellen der
Brähmanas das Gebot der Wahrhaftigkeit behandeln. Im Eingang
der Nacht hat man eine gewisse Opferformel zu sprechen, die Wahres
besagt. „Wenn man dann auch hinterher Unwahres redet, so hat
man (damit) doch die Wahrheit gesprochen. Denn im Eingang der
Nacht redet man die Wahrheit" (LL. II, 8). An einer bestimmten
Stelle des Ritus badet man, wird man mit Darbhagras gereinigt.
Denn der Mensch ist unrein, da er die Unwahrheit spricht; durch
das Wasser, durch das Gras wird er gereinigt (8L. III, 1, 2,10;
3, 18). „Was wir Unwahrheit geredet haben während der letzten
1. Mehr oder minder, sage ich. Denn natürlich fließen die verschiedenen
Vorstellungsweisen leicht in schwankenden Verhältnissen durch einander. So ist
später den Buddhisten, bei denen der Glaube an die mechanische Wirkung der
Taten dominiert, das Eingreifen eines göttlichen Richters darum doch keines-
wegs fremd (s. meinen „Buddha"", 263).
2. Vgl. meine „Lehre der Upanifhaden" 171 f.