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Sehen und Hören.
Ansicht, die einer der Wissenden, Geehrten aufstellt, mit maßgebender
Autorität und wird in den Schulen gläubig nachgesprochen: was
selbstverständlich sich sehr wohl damit verträgt, daß eine andre An-
sicht ebenso autoritativ wird, und der Widerspruch ungelöst, ost
wohl unbemerkt stehen bleibt.
Suchen wir nun die Eigenart dieser damit im Allgemeinen ge-
schilderten geistigen Tätigkeit mehr im Einzelnen zu erkennen, so
scheint sich als ein Grundzug die Schwäche anschaulichen Sehens
hervorzuheben. Wie in der Geschichte der bildenden Künste Indien
spät auf dem Schauplatz erscheint und sich mit einer bescheidenen
Rolle begnügt, ist auch auf religiösem Gebiet der Sinn für das
Anschauliche wenig entwickelt. Dem Bild der alten vedischen Götter
und ihrer Taten fehlen die lebendigen, bestimmten Umrisse. Und
die Brähmanas sind voll von Vorstellungen wie diesen: die Götter
jagen der entlaufenen Opferweihe vermittels der Jahreszeiten nach;
die Wasser vollziehen Kasteiung; die Stimme redet in den Jahres-
zeiten stehend-wie ist das alles anschaubar? Kein Gefühl ist
lebendig, das dagegen rebelliert. Die einzelnen Vorstellungselemente,
aus denen sich solche Bilder oder vielmehr Nichtbilder zusammen-
setzen, sind bloße Rechenpfennige, die man durch einander wirft wie
es eben trifft. Auf das xrat^nkZaw, das sinnlich Wahrnehmbare,
kommt ja wenig an; die Ansicht der Dinge, welche die Götter lieben,
ist das xurolrsuw. Beiläufig bemerke ich, daß die Leistungen und
Ansprüche des Gehörsinnes im alten Indien höher gestanden zu
haben scheinen, als die des Gesichts. Die früh sich beweisende
Schärfe der phonetischen Beobachtung bei den Grammatikern, später
dann die außerordentlich feine Auffassung der musikalischen Intervalle
deutet darauf hin. In den uns hier beschäftigenden Zusammenhängen
freilich konnte diese Begabung nicht zur Geltung kommen. Was
aber den Gesichtsinn angeht, darf vielleicht angenommen werden,
daß die eben hervorgehobenen Verwirrtheiten doch nur zum Teil
auf Schwäche der natürlichen Beanlagung für anschauliches Sehen
beruhen. Zum andern Teil wird hier mitgewirkt haben, daß das
Interesse, das die Gedankenarbeit beherrschte, durchaus anders ge-
richtet war. Es handelte sich darum, Riten, deren ursprünglicher
Sinn meist ganz außerhalb des Horizonts dieser Theologen lag, die
sich ferner vielfach von ihrem ursprünglichen Wesen weit entfernt
lichen Bewußtseins doch kaum eine ernstliche Selbstbescheidung der priesterlichen
Allwissenheit.
Sehen und Hören.
Ansicht, die einer der Wissenden, Geehrten aufstellt, mit maßgebender
Autorität und wird in den Schulen gläubig nachgesprochen: was
selbstverständlich sich sehr wohl damit verträgt, daß eine andre An-
sicht ebenso autoritativ wird, und der Widerspruch ungelöst, ost
wohl unbemerkt stehen bleibt.
Suchen wir nun die Eigenart dieser damit im Allgemeinen ge-
schilderten geistigen Tätigkeit mehr im Einzelnen zu erkennen, so
scheint sich als ein Grundzug die Schwäche anschaulichen Sehens
hervorzuheben. Wie in der Geschichte der bildenden Künste Indien
spät auf dem Schauplatz erscheint und sich mit einer bescheidenen
Rolle begnügt, ist auch auf religiösem Gebiet der Sinn für das
Anschauliche wenig entwickelt. Dem Bild der alten vedischen Götter
und ihrer Taten fehlen die lebendigen, bestimmten Umrisse. Und
die Brähmanas sind voll von Vorstellungen wie diesen: die Götter
jagen der entlaufenen Opferweihe vermittels der Jahreszeiten nach;
die Wasser vollziehen Kasteiung; die Stimme redet in den Jahres-
zeiten stehend-wie ist das alles anschaubar? Kein Gefühl ist
lebendig, das dagegen rebelliert. Die einzelnen Vorstellungselemente,
aus denen sich solche Bilder oder vielmehr Nichtbilder zusammen-
setzen, sind bloße Rechenpfennige, die man durch einander wirft wie
es eben trifft. Auf das xrat^nkZaw, das sinnlich Wahrnehmbare,
kommt ja wenig an; die Ansicht der Dinge, welche die Götter lieben,
ist das xurolrsuw. Beiläufig bemerke ich, daß die Leistungen und
Ansprüche des Gehörsinnes im alten Indien höher gestanden zu
haben scheinen, als die des Gesichts. Die früh sich beweisende
Schärfe der phonetischen Beobachtung bei den Grammatikern, später
dann die außerordentlich feine Auffassung der musikalischen Intervalle
deutet darauf hin. In den uns hier beschäftigenden Zusammenhängen
freilich konnte diese Begabung nicht zur Geltung kommen. Was
aber den Gesichtsinn angeht, darf vielleicht angenommen werden,
daß die eben hervorgehobenen Verwirrtheiten doch nur zum Teil
auf Schwäche der natürlichen Beanlagung für anschauliches Sehen
beruhen. Zum andern Teil wird hier mitgewirkt haben, daß das
Interesse, das die Gedankenarbeit beherrschte, durchaus anders ge-
richtet war. Es handelte sich darum, Riten, deren ursprünglicher
Sinn meist ganz außerhalb des Horizonts dieser Theologen lag, die
sich ferner vielfach von ihrem ursprünglichen Wesen weit entfernt
lichen Bewußtseins doch kaum eine ernstliche Selbstbescheidung der priesterlichen
Allwissenheit.