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Adam, Leonhard
Nordwest-amerikanische Indianerkunst — Orbis pictus, Band 17: Berlin: Verlag Ernst Wasmuth A.G., [1923]

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https://doi.org/10.11588/diglit.63300#0029
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Nordwestamerikanische Indianerkunst

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nicht etwa ständig in Verbindung mit ihren Schöpfungen genannt. Hier muß
das Werk für sich selbst sprechen. Wenn der indianische Künstler sein Bestes
gegeben hat, so hat er als rechter Handwerker gearbeitet. Sein Name sinkt
bescheiden in den Hintergrund, und nur die Hervorragendsten ihres Faches
weiß man noch nach langer Zeit dem etwa danach Fragenden zu nennen. Das
Formgefühl des Indianers ist anders als das unsere. Was wir als Kunstwerk
werten, gilt ihm nur dann etwas, wenn es ihm auch etwas erzählt oder mit
einem (magischen, totemistischen oder nur epischen) Zwecke verbunden ist;
dafür hat er ein scharfes Auge dafür, was handwerklich gut und was schlecht
ist. Die Beherrschung des Materials ist umso erstaunlicher, als wir es mit
Stämmen zu tun haben, die bis zur Neuzeit in einem Übergangsstadium von
der Stein- zur Bronze- (bzw. Kupfer-)zeit lebten. Als Werkzeuge der Holz-
bildhauer kommen auch jüngst nur Beile und eine Art Stemmeisen in Betracht.
Heute sind dies eingeführte Geräte europäisch -amerikanischer Herkunft aus
Eisen; aber die guten alten Stücke der Holzbildkunst sind noch mit groben
Steinbeilen an hölzernen Schäften, teilweise mit messerartigen Geräten aus
dem seit jeher im Lande gewonnenen Kupfer angefertigt. Mit den importierten
Messern läßt sich natürlich leichter arbeiten, besonders eine höhere Glättung
der Holzfläche erzielen. Die auf den Tafeln 8 und 9 abgebildeten Totempfähle,
keine Gebrauchsstücke, sondern indianische Originalmodelle aus neuerer Zeit,
sind beispielsweise mit dem bequemeren, importierten Handwerkszeug ange-
fertigt. So glatt und fein aber ihre Oberfläche auch gearbeitet ist, sie ist darum
doch schon mehr Ergebnis einer dem Indianer gerade in der Monumental-
plastik ursprünglich nicht eigentümlichen Schnitzarbeit als der förmlichen Holz-
bildhauerei. Darum haben diese neueren Stücke, so vollkommen sie als Ganzes
den Eindruck eines gut gearbeiteten, großen Pfahles veranschaulichen, doch
in der Flächenbehandlung nicht den eigenartigen Reiz der nicht geschnitzten,
mühsam geglätteten, sondern eben „behauenen“ Werke der alten Zeit mit
ihren wundervollen ebenmäßigen Reihen von Schlagspuren, wie wir sie auf
den Oberflächen der großen, fischotterförmigen Schale (Tafel 39) und beson-
ders des gigantischenAdlers(Tafel 26)auch imBilde noch deutlichwahrnehmen.
Eine seltene Harmonie zwischen Darstellungsgegenstand und Material ist bei
dieser Adlerfigur dadurch erzielt, daß die Schlagmarken förmlich das Feder-
kleid des Vogels wiedergeben. Ob der indianische Künstler solche Wirkung
beabsichtigt hat, steht dahin, aber wir haben keinen Grund anzunehmen, daß
nicht auch er am Ende diesen Eindruck empfunden habe.
Die letzte künstlerische Wertung der Totempfähle muß in Verbindung mit
dem Bauwerk geschehen, zu dem sie gehören. Die gewaltigen Holzhäuser zu-
mal der nördlichen Stämme dienen nicht einer einzigen Familie, sondern einer
ganzen Sippe zur Wohnung. Manche bieten mehreren hundert Personen Raum.
 
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