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Uxkull-Gyllenband, Woldemar
Frühgriechische Plastik — Orbis pictus, Band 3: Berlin: Verlag Ernst Wasmuth A. G., 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.58941#0009
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Die archaische Kunst der Griechen und besonders die Plastik bedeutet die
gewaltigste Wendung im Kunstschaffen überhaupt. Einem Gestirn gleich ging das
Leuchtsignal eines europäisch-okzidentalen Willens auf, jene alte Form der Kunst,
unfruchtbar und erstarrt, mit dem neuen Leben zu durchglühen: das Vorbild von
Fühlen und Denken, Herz und Geist für den westlichen Menschen wurde. Wie die
Griechen Richtbild des europäischen Menschen sind, so waren sie auch die Schöpfer
der abendländischen Kunstform. Aus dem Orient und aus Ägypten wurde von ihnen
die Kunst übernommen, wobei einerseits gerade Wirkungen auf die kleinasiatischen
und Insel-Griechen ausgeübt wurden, andererseits eine Umgestaltung in Kreta, nament-
lich für den Peloponnes, also für die dorische Entwicklung von Bedeutung war.
Daß die archaische Kunst und besonders die früharchaische Plastik sehr starke Ab-
hängigkeit durch den östlichen Stil aufweist, ist unbestreitbar. Dennoch besteht von
vornherein ein scharfer Gegensatz zwischen beiden Gattungen. In den großen
Despotien war die Kunst ein Mittel zur Verherrlichung mächtiger Siege, eine Chronik
königlicher Taten, bestimmt den ewigen Ruhm ewig zu erhalten. Wie den orienta-
lischen Monarchien die Freiheit der Einzelperson fehlt, so auch ihrer Kunst die Ge-
staltung individueller Normen; sie sind Schöpfer von Typen, deren jede eine staat-
liche Beamtenkaste widerspiegelt, sie schaffen Könige, Priester, Würdenträger,
nicht aber Menschen. Geradezu erstaunlich sind ihre Leistungen in Bezug auf die
Tierwelt, bei der Leidenschaft, Grimm und Furcht zu formal hohem Ausdruck
gebracht werden und bei der man sogleich erkennt, daß sie nach lebendiger An-
schauung gebildet ist. Wo aber Menschen gestaltet werden, sind sie nicht Abbilder
ihres eigenen Genus, sondern die ihrer staatlichen oder religiösen Stellung.
Diese östliche Kunst war staatlich wie religiös gleichmäßig bedingt. Die Ehr-
furcht vor den Göttern als in einer fast transzendenten Sphäre Thronenden, zu der sich
Könige noch verhielten wie Untertanen zum Herrscher, hatte eine Kunst von nicht
wieder gewesener Großartigkeit, aber auch monströser Furcht zur Folge. So gut
wie kein Ringen und Suchen ist in diesen Werken, und Platon sagt einmal, daß die
Bilder der Ägypter zu seiner Zeit nicht wesentlich von denen unterschieden seien,
die zehntausend Jahre zurücklägen. Sie klammerten sich an eine überkommene
Form, ihre Führungslinie ist eine immer gleiche Gesetzmäßigkeit, die Künstler sind
Handwerker eines in sich reibungslosen Willens oder einer alt werdenden Priester-
kaste. Dennoch findet sich, trotz Hierarchie und Despotismus, bei den Bildnis-
statuen ein seltener Naturalismus (die Totenmasken bestätigen dies), den die Griechen
kaum, in archaischer Zeit gar nicht gekannt haben. Auch er ist religionsmäßig be-
dingt und steht zu dem Bestreben, formelmäßig am Sinn der Kasten festzuhalten,
 
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