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Einstein, Carl
Afrikanische Plastik — Orbis pictus, Band 7: Berlin: Wasmuth, [1923]

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https://doi.org/10.11588/diglit.59317#0009
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Exotismus ist oft unproduktive Romantik, geographischer Alexandrinism.
Hilflos negert der Unoriginelle. Jedoch wird der Wert afrikanischer Kunst durch
Unfähigkeit belangloser Leute nicht gemindert. Ich betrachte afrikanische Kunst
kaum unter dem Aspekt heutigen Kunstbetriebes; nicht um Anregung erlauern-
den Unproduktiven einen Dreh (neuen Formenschatz) zu starten, vielmehr aus dem
Wunsch, daß kunstgeschichtliches Untersuchen afrikanischer Plastik und Malerei
beginne. Die Ethnographie hat ihre erste Aufgabe gelöst, indem sie die Gesamt-
komplexe der Forschung auf stellte. Sie verändert nun Methode und Gesicht, damit
Einzelfragen behandelt werden. Aus der Differenzierung der Völkerkunde gewinnt
der Kunsthistoriker neue Aufgaben.
In dem vorliegenden Buch wird bescheidener Beginn gegeben. Es fehlte die
Hilfe ausländischer, unentbehrlicher Sammlungen. Jedoch, was peinlicher uns hin-
dert: Bei dem Betrachten afrikanischer Kirnst missen wir den Anhalt eindeutiger
Geschichte, fixierte Zeit. Afrikanische Geschichte dämmert in überwucherter
eingestürzter Familien- oder Stammüberlieferung. Vieles über Afrika Mitgeteilte
ähnelt einer schönen, bodenlosen Erzählung. Zeit und Raum verharren fragwürdig,
im ungewissen Schummer des Mythologischen; das Bestehende weist vehementen
Verfall oder solch verzerrende Entartung auf, daß Rückschlüsse aus Gegenwärtigem
die afrikanische Vergangenheit allzusehr mindern.
Afrikas kulturschaffende Kräfte sind beträchtlich erschöpft. Die alte Über-
lieferung zerbröckelte unter der Kolonisierung, angestammtes Vorstellungsgut
mischte .sich importierter Anschauung. Aus diesem Verkuppeln geistig fremder
Dinge ergaben sich schwer durchdringbare Verschwommenheit, inneres Wanken
und eine fast kindliche Launischkeit der afrikanischen Mentalität. Das Ungewisse,
Fragwürdige dieser Vorstellungsbezirke dürfte eine geschichtliche Enderscheinung
sein. Mit Vorsicht möge man afrikanische Historie rekonstruieren; denn leicht gerät
man ins Idealisieren und läßt sich von den modischen Vorstellungen einer roman-
tischen Primitive betäuben.
Das afrikanische Klima gestattet den Zeugnissen der Vergangenheit nur kurze
Dauer. Andererseits bewirkt das Völkergeschiebe in Afrika, das Jahrhunderte hin-
durch diesen Kontinent beunruhigt, ein Zittern und Zerren der staatlichen und kul-
turellen Gebilde. Es scheint, daß afrikanische Kunstfertigkeit im letzten Verfall
steht. Die Eingeborenen kennen häufig die Bedeutung ihrer alten Kunst nicht mehr.
 
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