Wilhelm Heise
Der Traum
ist das Leben, sagen sie. Sie sind alle sehr auf-
geklärt und haben so ihre Sprüche: JDas ist
der Kampf ums Dasein1 und ,so ist das Leben11
und ,Schicksal, es hat wohl so sein müssen'. —
Aber nun, sei nicht langweilig, versuche es nur,
schielT einmal.“
Alle diese Sätze vernahm ich sehr deutlich,
und ich sah auch mit peinigender Genauigkeit
die Dinge, die er sagte, aber es war, als spreche
innen in mir etwas, gegen das ich mich vergeb-
lich sträubte, diese Worte mit, als wäre etwas
in mir nun aufgedeckt, zu einer ganz entsetz-
lichen Klarheit erschlossen. Doch diese Klar-
heit, die ich plötzlich unumstritten sah, nahm
ich nicht an, wollte sie wenigstens nicht an-
nehmen, ich fürchtete mich, das Ganze war zu
gräl?lich. Zuerst, zu allererst aber fürchtete
ich mich vor mir, hatte ich Angst vor mir selbst,
nun mit einem Mal, schon im Traum, ich weil?
dies ganz bestimmt. „N i e,“ schrie ich, und
meine Stimme kam zitternd und würgend aus
der Kehle hervor, „nie, nie werde ich schießen,
nie!“-Aber während ich diese entstellten
Laute vernahm, überfiel mich ein schrecklicher
Zweifel. Mein Führer betrachtete mich, und
ich sah, was mir bisher verborgen geblieben
war, er war schön, schön, müde und traurig,
unendlich müde und traurig. Ich mul?te mit
einem Mal weinen, es war mir so schrecklich zu-
mute. Ich verkrampfte meine Hände und rief:
„Und wenn ich sterben müßte!“ — „Aber,“
sagte er, „sie werden auch auf dich schiel?en,
bedenke das, blick dorthin!“
Ich wandte mich rasch und entsetzt um. Da
sah ich hinter mir einen Menschen, den ich
kannte, den ich so gut kannte, der mir so nahe,
so nahe verbunden war. Jede Falte sah ich in
dem vertrauten Gesicht, die Augen waren zu-
sammengekniffen, der Ausdruck böse, und der
Mensch zielte auf mich. Dies war entschieden
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