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Maulwurf umgestülpt, der Sarg herausgezerrt,
zwischen den geborstenen Brettern der Leib
Angelikas hingestampft, das Sterbekleid über
der Brust zerrissen und diese Brust, noch immer
weil? und schön, grauenhaft zerfleischt, wie
von einem krallenbewehrten Tier. In Fetzen
hingen Hemd und Muskel auseinander, Batist
und Fleisch unter der zerstörten Knospe ihrer
linken Brust klaffte ein Loch, schwarz und rot.
Viele Menschen sahen mich an, ich empfand
das Ziehen ihrer Blicke in die Tiefe meines
Grauens. Jemand sagte: „Man hat ihr das
Herz ausgerissen . . . wie den andern . ,“ Je-
mand deckte ein Leintuch über Jen Körper,
man hob ihn auf, trug ihn fort, in die Leichen-
kammer. Jemand sagte noch: „Diese Bestie!
Dieser Satan! Lebendig schinden sollte man
ihn“, und eine grobe Stimme: „den erwischt
keiner.“ Man hat ihr das Herz ausgerissen,
klang es in mir, das Herz ausgerissen, wie den
andern. War das noch Angelika, was sie da
wegtrugen, dieser verstümmelte, geschändete
Leib? War sie das? Es gluckste und schnalzte
in mir. ich war ein blasenwerfender, schwel-
lender Sumpf, einen schwarzen Mund sah ich
in mir über der Jauche erscheinen, ein Maul
mit schwarzen Lippen, das emporstieg, Luft
einsog, schmatzend schluckte und verschwand
und wiederkam und untertauchte und wieder-
kam . . .
Donner stürmten daher, klingende Donner,
die Heiligen des Kirchenportales neigten sich
über mir im spitzen Bogen zusammen, flüsterten:
„Da geht er, dessen Weib man das Herz aus-
gerissen hat .“ Ich weil? nicht, wie ich zur
Kirche gekommen bin, Ri-
chard fühlte ich neben mir,
Brandung umhüllte uns,
ein weißes Gewitter von
Begierden und Reinigun-
gen, strahlendurchzuckt,
mit Protuberanzen von
Empörung gegen Gott:
Meister Jericho spielte die
Orgel. Jetzt sank der Geist
des Dämons dort oben ganz
in Düsternis, kroch in
Schlangenhöhlen hin, vom
Gift der Zerknirschung
verwüstet, er schob sich

bäuchlings über die Erde und fraß sie in sich
hinein, es wetterte dumpf und unterirdisch,
alles das wuchs, bäumte sich, quoll aus Schlün-
den gegen die Höhen und nun begann dieses
menschliche Schluchzen, diese Stimme der
Angst vor der Ewigkeit, die tränenerfüllte An-
klage eigener Zerrissenheit und Kleinmütig-
keit. Aber da, von den unerstürmten Höhen, aus
dem Lichten, ging ein Schweben her, gelöstes
Silber, reine Verheißung, eine Stimme voll
Trost und überirdischer Verklärtheit.
„Hörst du ?“ fragte Richard, an mich gekrallt.
Ich sah einen alten Ritter vor mir, einen
steinernen Markgrafen unter einem Tropfstein-
baldachin am Pfeiler in halber Höhe, in der
mein Blick hing. Er wandte den Kopf und
stand lauschend, seiner Starrheit entbunden.
„Ja, es ist Angelikas Stimme“, sagte ich.
Sie war verschwebt in ihr seliges Geheimnis
zurückgekehrt und hinter ihr her brauste es
mit Schwingen befreiter Flügel, Erfüllung von
Sehnsüchten nach den Wolkenburgen der Er-
lösung.
Seltsame Helligkeit war über mich ge-
kommen, so dumpf ich mich zuletzt zerlebt
hatte, so klar stand mir das folgende Ereignis
von Augenblick zu Augenblick im Hirn. Wie
einem Ruf hatte ich zu folgen, der an mich
ergangen war. Angelikas Leiche wurde neuer-
dings eingesegnet und beigesetzt, die Polizei
kümmerte sich wenig um das Geschehene, aber
nicht das war es, worauf ich wartete. Noch
einmal hielt die schwarze Wolke des Todes
über unserem Hause, seine Schleier sanken auf
Wally hinab, der meiner Angelika Hingang
die letzte Freude undKraft
genommen hatte. Der
Sommer stand hoch und
strahlend über der Welt,
als wir sie hinabsandten.
Ihr Hügel lag neben dem
Angelikas. „Heute Nacht!“,
sagte ich zu Richard und
er nickte, „heute Nacht!
Wir schlichen gegen
Abend in den Karner, an
dessen Wand der heilige
Christophorus in die Däm-
merung drohte; in Knie-
hohe saß ihm ein Fenster-


E. Heigenmoeer

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