DAS HERZ
Von Otto Zoff (mit zwei Zeichnungen von Hedwig Kruse)
DIESE Geschichte handelt von Sehnsüch-
tigen des Herzens. Und ihr Held ist einer
von den ganz Sehnsüchtigen, wenn diese stillen,
traumhaften und verlorenen Menschen über-
haupt zu Helden einer Geschichte erwählt
werden können. Ich will ihn einfach den Cel-
listen nennen. Denn da er den ganzen Tag außer
Haus war, ohne daß man hätte sagen können,
wohin er immer ging, so wußten seine Haus-
genossen nicht mehr von ihm, als dal? er abends
gegen sieben Uhr heimkehrte und dann oft bis
in die Nacht hinein Cello spielte. Aber selbst
dieses Spiel war so leise, so sehr in sich zurück-
gehalten, dal? es einer grol?en Stille in den
Wohnungen bedurfte, um die Linie der selt-
samen Melodien ungebrochen erlauschen zu
können. Es konnte an solchen Abenden ge-
schehen, dal? das ganze Haus sich in Schweigen
stellte, dal? alle Gangtüren offen standen, dal?
man beim Nachtmahl höchste Acht trug,
nicht mit den El?geräten zu klirren und beim
kleinsten Klang einer Gabel oder eines
Glases zusammenzuckte. Es kam auch vor,
dal? sich die Leute auf den Treppen zu-
sammenstellten, wenigstens die Frauen, nur um
das Spiel aus innigerer Nähe zu hören, oder dal?
andere sich frühzeitig ins Bett legten, das Licht
löschten und nun so, mit geöffneten Augen in
die Nacht starrend, ganz in dem unbegreif-
lichen Zauber dieses Spieles verloren waren.
Den Cellisten selbst kannte niemand näher,
denn mit größter Eile stieg er abends die
Treppen zu seiner W^ohnung im zweiten Stock-
werk empor und die ganze Gebärde seiner
Gestalt trug entschiedene Abweisung eines
jeden Versuches einer Näherung in sich. Er
war ein kleiner, ein wenig korpulenter Mann
mit einem großen Kopfe, der flammend rotes
Haupthaar und einen langen, breithinwallenden,
ebenso gefärbten Bart trug. Aber seine Augen
konnte man nicht erkennen; denn die Blicke
ruhten stets auf den Steinfliesen des Bodens,
von den breiten, etwas geröteten Lidern be-
deckt. Seihst wenn irgendein Zufall es schon
mit sich brachte, daß man ein paar Worte an
ihn richten konnte, vielleicht daß sich ihm
die Hausbesorgerin wegen dieser oder jener
Wohnungsangelegenheit entgegenstellte, so
schlossen sich seine Augen doch nur für den
kürzesten Augenblick auf, gleichsam um das
oberflächliche Bild des Anredenden zu er-
fassen, und deckten sich sogleich wieder zu.
Einige behaupteten, sein Blick trage den Irrsinn
in sich, und da solches mit seinem höchst selt-
samen Gebaren in Einklang schien, so stand er
seit jeher im Rufe eines geistig nicht ganz Nor-
malen. Die Wohnung neben dem Cellisten be-
herbergte ein noch junges Ehepaar, das beinahe
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