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Der Orchideengarten : phantastische Blätter — 1.1919

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Zweites Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.29026#0052
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DER VOREILIGE LEICHNAM
Von Wiltelm Nhil
(mit zwei Zeichnungen von E. Heigcnmooser)

EUTZUTAGE wird einem
das Sterben leicht gemacht.
Man hat nichts weiter zu tun,
als krank zu werden, alles
andere besorgt der Arzt
und die Leichenbestattungs-
unternehmung Foster©Foster.
Diese renommierte Firma lie-
fert vom Sarg bis zum gerührten Leidtragenden
alles, was man zu einem behaglichen Begräbnis
nötig hat. Verlangen Sie Spezialtarif und
machen Sie einen Versuch.
Wir hatten bei einem Klienten von Foster
& Foster die Leichenwache und begaben uns
des Abends — natürlich noch einen Whisky;
ich fange doch erst an zu erzählen — und be-
gaben uns des Abends nach dem Trauerhause.
Eine gewisse festliche Stimmung hatte sich
unser bemächtigt, denn es war die fünfhun-
dertste Leiche, der wir unsere Aufmerksamkeit
angedeihen liefen, und wir gedachten der
Jubiläumsnacht einen festlichen Anstrich zu
geben.
Der Leichenwäscher und sein Gehilfe hatten
den Mann bereits in Begräbnisdref gesteckt,
nach amerikanischer Manier hübsch geschminkt
und auf Eis gelegt wie eine Delikatesse. Er lag
so sauber aufgebahrt, wie sich’s einer nur wün-
schen kann. Zur Erhöhung des festlichen Ein-
drucks zündeten sie sechs Wachskerzen in
mächtigen Ständern an. Dann verliefen sie das
Haus, um der nächsten Leiche ihre bei Foster
& Foster bestellte Fürsorge an gedeihen zu lassen.
Jimmy und ich setzten uns enttäuscht zu
beiden Seiten des Sarges hin, um die Nacht

über aufzupassen, ob der Insasse was brauchte.
Da wir fünfhundertmal, einen Sarg zwischen
uns, beisammengesessen hatten, war der Ge-
sprächsstoff ziemlich erschöpft. Bei derartigen
Gelegenheiten war sonst ein teilnehmender
Nigger oder ein gefälliges irisches Stubenmäd-
chen so freundlich gewesen, uns Gesellschaft
zu leisten. Oh, es waren unterhaltsame Abend-
essen, die wir auf dem Sargdeckel improvisiert
hatten; unsere Fröhlickheit war gedämpft, aber
unwiderstehlich, und mancher Tote hätte mit-
gelacht, wenn dies mit seiner steifen Würde
in Einklang gewesen wäre. Aber dieses Haus
war, Gott verdamm mich, bis auf den Toten
vollständig ausgestorben.
Wir langweilten uns abscheulich zu dritt
und Jimmy sah den Toten vorwurfsvoll an.
Wir kauten Tabak, aber dies allein ist keine
ausreichende Beschäftigung. Wir zählten die
Stearintropfen, die von den Wachskerzen
herunterkollerten. Wir machten sarkastische
Bemerkungen über den Toten, aber er stand
nicht auf, um sich mit uns zu prügeln, und so
schwiegen wir entmutigt. Der Mangel an ge-
selligem Hauspersonal hatte unserer Festes-
stimmung Abbruch getan. Es blieb nichts
anderes übrig, als den Kontrolleur abzuwarten,
dann den mitgebrachten Whisky ohne beson-
dere Formalitäten zu vertilgen und nachher
ein Schläfchen zu machen.
Die Leiche lag sauber rasiert in einem be-
quemen Metallsarg und hatte die Hände zu-
frieden über den Bauch gefaltet. Das rechte
Lid stand einen Spalt breit offen und der Tote
blinzelte mit schalkhaft verdrehtem Augapfel


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