Der Papageienkäfig nimmt sich gut aus.
Wohnlich und reich macht er den ganzenRaum.
— Ob ich in die Koffer hineinschaue? Da ich
mir’s überlege und ein wenig davor zurück-
weiche, mul? ich es natürlich tun.
Welch ein Wirrwarr aus Mottenfral? und
Kleideraas zerfällt in diesen bauchigen Un-
getümen! Hier mul? einmal Ordnung geschaffen
werden, wie in mir selbst. Diese unnützen
Überbleibsel einer abgelaufenen Zeit, die die
Seele verpesten, müssen vernichtet werden. Sie
haben ihre Rolle ausgespielt.
Nun ist der letzte Koffer flüchtig durch-
stöbert. Er schnappt zu und schnappt wie ein
gefräßiges Tier nach meinem Kopf. Sachte,
mein Lieber! Den brauche ich noch, nachdem
ich ihn durch vier unsagbare Jahre gerettet habe.
Ich kann gehen, ich kann diesen Ort ver-
lassen. Ich habe meine Pflicht getan. Mein
Speicher ist rein und ohne Schande und ohne
Verbrechen.
Ich werde die heutige Nacht sehr gut ver-
schlafen. Ich habe die vergangene viel geträumt
— oder auch nicht geträumt; ich bin wach ge-
legen und habe nachgedacht. Bin ich auch auf-
gestanden? Ja, ich bin auch aufgewesen, war
an der Tür — am Fenster — wieder an der
Tür. War ich wirklich —?
Sicher ist eines: Ich werde heute abend sehr
müde sein undich werde ausgezeichnet schlafen.
*
Es ist drei Uhr drei Minuten nachts. Das
Treppenhaus — ich höre es fraglos durch zwei
Türen — wiederhallt von schlürfendem Tapsen.
Ein rhythmisches Atmen durchkeucht die
Riesenröhre.
Der Mann geht vorbei — genau wie gestern.
Heute schleppt er ein weibliches Wesen auf-
wärts — aus einem rosa Unterrock schlottern
Frauenstiefel. Ich hole meine Feldlaterne und
folge nach. Was bliebe mir anderes zu tun
übrig? Man zwingt mich zu dieser Maßregel.
Ich mische mich nie in fremde Angelegenheiten;
diese scheint mir eine eigene werden zu wollen.
Genau wie gestern dreht sich der Leichen-
träger für einen Augenblick herum; ich sehe in
ein Gesicht, das meinem gleicht; es ist fahl und
schweißbeperlt von einer Arbeit, die sich in
dieser Nacht schon des öfteren wiederholt hat.
Er steigt weiter, unverzagt, und ich steige
dicht hinter ihm. Wie langsam wir vorwärts-
kommen ! Nehmen diese Stufen und Absätze
vor schlafenden Wohnungen und wieder Stu-
fen kein Ende? Immer vor mir in Brusthöhe
wippen die Frauenstiefel. Ich erkenne sie. Sie
gehören der Madame Marguerite Godbert, de-
ren Haus in Avion durch einen einzigen Schuß
umgelegt wurde und sie begrub.
Eiserne Tür und hölzerner Verschlag stehen
schon offen — — ja, und mein Speicherabteil
ist bereits gut versorgt. Mehr als ein Dutzend
liegen nebeneinander geschichtet, und Frau
Marguerite Godbert füllt den letztenWinkel aus.
Der Mann steht mitten im Raum und wischt
sich den Schweiß von der Stirn. Er bemüht
sich, nicht auf die vielen Füße zu treten, die
alle nach der Mitte zusammenströmen. Zieht
eine kraus eingeteilte, bedruckte Karte aus der
Tasche — — und ich sage zu mir mit meiner
eigenen Stimme: Hier ist deine Leichenkarte.
Du ersiehst aus ihr deinen Anspruch. Kon-
trolliere durch sie die Richtigkeit der Liefe-
rung. Obwohl sie eine Abart der Fleischkarte
ist, rechnet sie nicht nach Grammen, sondern
großzügig nach Köpfen — bildlich gesprochen;
bei manchem fehlt ja der Kopf. — Eine ge-
rechte Verteilung wird der Weit gewährleistet.
Da die Deutschen weitaus die meisten Gegner
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