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erlegt haben und während des Krieges stets
maßlos stolz darauf waren, beginnt »die große
internationale Gesellschaft zur Verteilung der
Kriegsernte«, die ihren Sitz im Haag hat, mit
Deutschland. England, Frankreich und die
anderen Länder werden später versorgt wer-
den. Niemand wird übergangen.Bitte,
nimm!
Und ich halte die Karte in der Hand, und
der Mann vor mir macht Anstalten, militärisch
zu grüßen, aber er besinnt sich anders und geht
ohne Abschied zur eisernen Tür. Seine Tritte
verhallen in der Tiefe.
Oh, könnt ich gehen mit
diesemTeil meiner selbst!
Oder ist er schlechter
daran, als was hier oben
in der Kammer von mir
bleibt? Vielleicht muß
er weiter tote Körper in
zahllose Häuser schaffen.
Ich aber stehe hier. Eine
reiche Ausbeute. Eine
namenlos schreckliche
Beute, achtsam sortiert.
Neben den weißenFran-
zosen liegen die Marok-
kaner und neben den
Marokkanern die Eng-
länder. Aber am schlimm-
sten ist jener Winkel dort. Da ruhen zwei
Frauen und ein Kind. Und die eine Frau sagt —
sie bewegt kein Glied ihres zerquetschten
Körpers, nicht einmal die grünen Lippen, aber
ich weiß, daß sie spricht — sie sagt: Pourquoi
m'avez-vous tueeeeee?
Dieses »tu£« ist endlos lang, es ist wie ein
allerletztes Ausseufzen der platten Brust, und
der dünne Laut verkriecht sich zwischen den
Kisten. Dort wird er bleiben, um als würgende
Frage immer bereit zu sein — klagend — an-
klagend.
Aber ich empöre mich gegen diese Qual.
V?ie komme ich dazu, mich hinrichten zu las-
sen? Und ich sage: Ich habe sie doch gar nicht
getötet, Frau Marguerite Godbert. Die Eng-
länder waren es, die ihr Haus zusammenge-
schossen haben.
Will da nicht einer der Engländer den Arm
heben? Es sieht so aus. Der mit dem faust-
großen Loch an der Schläfe und dem vorge-

quollenen Augapfel, über den dunkelblau das
geschlossene Lid sich spannt. Tastend zupft er
mit gelben Runzelfingern am eingetrockneten
Schmutz seiner Wundränder.
So lebst du, Kamerad — ! sage ich grenzen-
los beglückt und beuge mich zu ihm.
Aber er ist tot. Ein süßlicher Geruch steigt
kalt von ihm auf; den kenne ich zu gut. Er ist
längst schon tot. Sein Körper ist nur ein wenig
von der Kiste herabgerutscht, und der Arm,
irgendwie gehemmt, hat die Bewegung nicht
mitgemacht; so kam der Griff nach dem Kopfe
zustande. — Jedoch er
redet, der Engländer. Ich
bin William Dunbar,
preßt er durch die ent-
blößten Zähne, — du er-
innerst dich — : mit dem
du zusammen in Heidel-
berg warst. ^Vie magst
du sagen, daß ich die
Französin getötet habe?
Wir schossen auf die
Deutschen und die Deut-
schen schossen auf uns.
Hast du übrigens nicht
damals in Heidelberg, als
wir über den kommenden
Krieg sprachen, erklärt,
nie würdest du dich dazu
mißbrauchen lassen, auf Menschen zu schießen?
Und hast es trotzdem vier Jahre hindurch getan.
— Und erinnern Sie sich, murmelt ein Fran-
zose, an die Jahrein Zürich, wo Sie dem Anti-
vivisektionsverein beitraten? Ich war auch
Mitglied. Wir bekämpften das Experiment
am lebenden Tier. Und nun haben wir beide
Jahre hindurch — hahahahaha!
Er lacht traurig und so schallend, daß ein
Gewoge von Tönen den Treppenturm auf und
nieder brandet.
*
Ich beginne mich zu verteidigen — und fühle
gleich, es ist umsonst. Ich bin grenzenlos ver-
zweifelt. Ich erkläre: Konnte ich denn anders?
Ich habe damals wohl geprahlt, ich werde nie
auf Menschen schießen, aber man zwang mich
schließlich dazu. Man zwang mich. Und ich
habe jahrelang dorthin Mordwaffen abge-
drückt, wo ich Menschen sah — wo ich nur


*3
 
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