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AUFSTAND IN NIRWANA
Von K. RoellingHoff
mit fünf Zeichnungen von Paul Neu

14. September.
S beginnt mit Macht zu
gären. Das war voraus-
zusehen. (Dal? ich es
geahnt habe, läßt sich
aus meinen bisherigen
Privat-Aufzeichnungen
ersehen.) Unter dem
Einflüsse der jüngst
Angekommenen beginnt
man, sich der fort-
währenden (für viele
taus end- un d mehrj ähri-
gen) Ungewil?heit zu
schämen. Und schliel?lich, objektiv gesprochen :
ist's nicht absolutistische Unterdrückung?
Der „Gewisse“ hält sich stets verborgen und
will von Aufklärung nichts wissen. An allen
Ecken und Enden wird die brennende Frage
vom Jüngsten Tag und die noch brennendere
der Rückkehr erörtert. Aber man hört da
nur Meinungen und Meinungsverschieden-
heiten. (Kürzlich noch beobachtete ich, wie
Tolstoi und Voltaire in einem nicht eben
friedfertigenMeinungsaustauschüber diese An-
gelegenheit sich Benennungen gaben, die in
keinem ihrer Werke zu finden sind.) Höheren
Ortes hüllt man sich nach wie vor in Schwei-
gen. Wir wissen nichts. Absolut nichts. Da-
bei wollen wir aber alles wissen. Und zwar
möglichst bald.
18. September.
Es geht lebhaft zu. Manche der beliebten
Zitate betreffend die „himmlische Ruhe in
Nirwana sind einfach lächerlich geworden :

überall Versammlungen und Beratungen. Der
„Gewisse“ zeigt sich immer noch nicht. Alles
drängt nach einer Klarstellung unseres Schick-
sals. Nach einer, irgendeiner Verfassung. Ich
bitte: wir wissen nicht, wo wir sind, was wir
sind, von wem wir beherrscht werden, ob und
wann wir zurückkehren. Nichts, gar nichts
wissen wir. D as kann doch nicht so weiter-
gehen! "Wir wollen und müssen den Termin
des Jüngsten Tages erfahren. Denn es ist ab-
solut nicht einerlei, wann wir auf die Erde zu-
rückkehren (zurückkehren werden wir doch!).
Wir wollen den Termin wissen. — W"ar heute
auf einer Versammlung der Biographen und
Kommentatoren Cäsars (im altrömischen
Schriftstellerverbande). Cäsar selbst präsidierte.
Er führte in einer großartigen Rede aus, daß
das Bekanntwerden des Rückkehrtermins in
kürzester Zeit eine Notwendigkeit sei. Er ar-
beite an einer Neuausgabe aller seiner Schrif-
ten und an der gründlichen V/iderlegung der
falschen Daten seiner Biographen und Kom-
mentatoren. Darum müsse z. B. er den Ter-
min der Rückkehr genau wissen, um das V/erk
bis zum bewußten Tage druckreif machen
und die Arbeit einteilen zu können. — Übrigens
genießt Cäsar bei uns den Ruf eines Originals.
Es ist aber auch zu spaßig, was er mit seinen
Biographen und Erläuterern anstellt. Er ge-
rät bei Auseinandersetzungen mit ihnen stets
in große Wut und läßt kein gutes Haar an
ihnen. Die Ärmsten tun einem oft in der Seele
leid. Und doch freut man sich stets, wenn ein
neuangekommener, ahnungsloser Biograph ihm


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