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Der Orchideengarten : phantastische Blätter — 1.1919

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Viertes Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.29026#0095
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Der Orchideengarien
Phantastische Blätter

Herausgeber Karl Hans Strobl

Erster Jahrgang


Schriftleiter Alf von Czibulka

Viertes Heft

DIE KAFFEEKANNE
PEantastücbe Erzählung von Theophile Gautier (übertragen von Otto Pick)
mit vier Zeichnungen von Wilhelm Heise

I.
IM vorigen Jahr wurde ich nebst zwei meiner
Atelierkameraden, Arrigo Cohic und Ped-
rino Borgnioli, eingeladen, ein paar Tage auf
einem Landgut im Innern der Normandie zu
▼erbringen.
Das Wetter, das bei unserer Abreise herrlich
zu werden versprach, lief? sich’s plötzlich ein-
fallen, jäh umzuschlagen, und es regnete so stark,
daß die Hohlwege, durch welche wir mar-
schierten, dem Bette eines Sturzhaches glichen.
Wir versanken im Schlamm bis an die Knie,
eine dicke Schicht zähen Lehms hatte sich an
unsere Schuhsohlen geheftet und verlangsamte
durch ihr Gewicht derart unsere Schritte, dal?
wir erst eine Stunde nach Sonnenuntergang
den Ort unserer Bestimmung erreichten.
Wirwaren erschöpft; daher lief?unser^Virt,
angesichts unserer Versuche, das Gähnen zu
unterdrücken und die Augen offen zu halten-
uns gleich nach dem Abendessen jeden in sein
Zimmer geleiten. Das meinige war geräumig;
beim Eintritt verspürte ich gleichsam ein Fieber-
frösteln, denn es schien mir, als träte ich in
eine neue W^elt ein. In der Tat hätte man sich in
der Zeit der Regentschaft glauben mögen beim
Anblick der „Vier Jahreszeiten“ von Boucher
über der Tür, der mit Muschelornamenten über-
ladenen Möbel vom übelsten Geschmack und
der mit schwerfälligen Schnitzereien ver-
sehenen Spiegelschränke. Nichts war in Un-
ordnung. Der mit Kammbehältern und Puder-
quasten bedeckte Toilettetisch schien gestern be-
nutzt worden zu sein. Zwei oder drei Roben
von schillernder Farbe, ein mit Goldflittern

besäter Fächer bedeckten den gut gewichsten
Fui?boden und eine Tabakdose aus Schildpatt,
die offen auf dem Kamine lag, war zu meiner
großen Verwunderung mit noch frischem Tabak
gefüllt. Ich bemerkte diese Dinge erst, als der
Diener, nachdem er seinen Handleuchter auf
den Nachttisch gestellt, mir eine gute Nacht
gewünscht hatte und, ich gestehe es, ich begann
wie Laub zu zittern. Ich entkleidete mich rasche
legte mich zu Bett und schlo!?, um diesen
dummen Schaudern ein Ende zu machen, bald
die Augen, indem ich mich gegen die Wand
drehte. Aber es war mir unmöglich, in dieser
Lage zu bleiben. Das Bett schwankte wie eine
Welle unter mir, meine Lider zogen sich heftig
zurück. Eine Gewalt zwang mich, mich um-
zudrehen und zu schauen. Das flackernde Feuer
warf rötliche Reflexe in das Gemach, so dal?
man mühelos die Personen der Tapisserie und
die Gesichter der Bildnisse an der W'and er-
kennen konnte.
Es waren die Ahnen unseres Hausherrn,
eisengeharnischte Ritter, Ratsherren mit Pe-
rücken und schöne Damen mit geschminktem
Antlitz und weil?gepudertem Haar, die eine
Rose in der Hand hielten.
Plötzlich wurde das Feuer seltsam bewegt;
ein bleicher Schimmer erhellte das Zimmer, und
ich sah klar, dal?, was ich für pure Bildnisse
gehalten hatte, Wirklichkeit war. Denn die
Augensterne dieser eingerahmten Wiesen be-
wegten sich, flimmerten auf sonderbare Art;
ihre Lippen öffneten und schlossen sich wie die
Lippen redender Menschen, aber ich vernahm
nichts als dasTicktack der Pendeluhr und das

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