ein wenig tiefer und wieder — Die Stille
wurde feierlich und fast beängstigend, alle
starrten wie hypnotisiert auf den langsam
sterbenden Lampion. Und nun begann ein
seltsames Spiel: In kurzen Abständen hob
und senkte sich der Lichtschein, senkte sich so
tief, dal? der ganze Lampion nur noch ein toter
Klumpen schien und hob sich dann wieder in
einen unendlich zart aufglühenden Schimmer
von Licht. Wie ein sterbensmüdes Auge, das
sich zum Wachen zwingt, so kämpfte der grüne
Lampion langsam blinzelnd mit der Dunkel-
heit. Und die Pausen wurden immer länger,
man spürte, wie sich der Lampion anstrengte
und nach jedem Aufleuchten immer längere
Zeit sich erholen mul?te von seiner bleiern
schweren Müdigkeit. Die Spannung war fast
schmerzhaft bei diesem langsamen Auf und Ab.
Es war, als mül?te das in Ewigkeit so weiter-
gehen wie Ebbe und Flut. Wenn der Lampion
einmal besonders lange dunkel blieb, so krampfte
sich jedem das Herz zusammen in einem un-
vernünftigen und verzweifelten Schmerz, und
dabei war es doch wie eine Art Befriedigung,
dal? diese ganz unerträgliche Spannung nun end-
lich zu Ende sein würde.. Aber dann erholte
der Lampion sich wieder.
Es war schon so dunkel im Zimmer, dal? nur
die Zigaretten als dunkelrote Punkte leuchteten,
denn der Lampion hatte kaum noch im Auf-
glühen die Kraft, auch nur sich selber zu er-
hellen. Einmal, als der Lampion ganz hoffnungs-
los lange sich ausruhte, sagte irgend jemand mit
seltsam rauher Stimme-,
jetzt ist ertöt. Aber nie-
mand antwortete, denn
im selben Moment glüh-
te ein ganz schwacher
Schimmer in den rosa
Pflaumenblüten des
Lampions auf, und die-
ser leichte Hauch von
Licht war wie ein großes
Glück, und das leise
Aufatmen einer unbe-
greiflichen Erleichte-
rung ging durch dasZim-
mer. Dann war es wie-
der dunkel und Minuten
verstrichen. Jeder hielt
den Atem an, und die
Augen waren in hartnäckiger Gebanntheit auf
den dunklen Lampion gerichtet, und keiner
wollte begreifen, daß dieses letzte Zucken wirk-
lich das letzte, das allerletzte, unwiderruflich
letzte gewesen sei.
Die Stille wurde drückend, sie wurde un-
heimlich, beängstigend. Und plötzlich mitten
in diese lautlose Stille hinein klang ein leiser
Schrei, natürlich kein lauter wirklicher Schrei,
das kommt unter gebildeten Menschen nicht
vor, aber doch ein dumpfer, erstickter Laut wie
ihn Menschen im Schlaf ausstoßen, wenn sie
von einem schweren Traum geängstigt sind.
Jeder einzelne begriff diesen Laut. Es war, als
hätten sie ihn alle zugleich ausgestoßen, denn
vor ihren Augen, die von dem unablässigen
Starren auf einen Punkt getrübt waren, er-
schien der Lampion, der tote schwarze Lam-
pion in den seltsam nebelhaften Formen eines
abgeschnittenen menschlichen Kopfes, eines
menschlichen Gesichtes mit leidvoll und un-
endlich resignierten, verzerrten Lippen und
großen, halb geschlossenen, verquollenen Augen
— und von dem glatt abgeschnittenen Halse
hing die dünne Schnur, in einem leisen Wind-
zug schaukelnd, wie ein feiner Faden von rin-
nendem Blut. Es wagte keiner sich zu rühren,
sie fühlten ein unvernünftiges kindliches Grauen
kalt durch den Rücken kriechen und starrten
wie gebannt auf den verquollenen Kopf, an dem
die helleren Stellen sich wie der Beginn einer
grindigen Verwesung undeutlich abzeichneten.
Plötzlich riß sich einer aus seinem Sessel em-
por, und mit der ver-
rückten Bewegung eines
Ertrinkenden stieß er
die Tür zum Neben-
zimmer auf.
Ein breiter, schmer-
zend heller Lichtstrom
durchflutete das Zim-
mer, und in der Mitte
hing der Lampion, ein-
fach ein hübscher chi-
nesischer Lampion mit
hellrosa Pflaumenblü-
ten auf grünem Grunde,
der für den unglaub-
lich billigen Preis von
sechzig Pfennigen zu
haben war.
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wurde feierlich und fast beängstigend, alle
starrten wie hypnotisiert auf den langsam
sterbenden Lampion. Und nun begann ein
seltsames Spiel: In kurzen Abständen hob
und senkte sich der Lichtschein, senkte sich so
tief, dal? der ganze Lampion nur noch ein toter
Klumpen schien und hob sich dann wieder in
einen unendlich zart aufglühenden Schimmer
von Licht. Wie ein sterbensmüdes Auge, das
sich zum Wachen zwingt, so kämpfte der grüne
Lampion langsam blinzelnd mit der Dunkel-
heit. Und die Pausen wurden immer länger,
man spürte, wie sich der Lampion anstrengte
und nach jedem Aufleuchten immer längere
Zeit sich erholen mul?te von seiner bleiern
schweren Müdigkeit. Die Spannung war fast
schmerzhaft bei diesem langsamen Auf und Ab.
Es war, als mül?te das in Ewigkeit so weiter-
gehen wie Ebbe und Flut. Wenn der Lampion
einmal besonders lange dunkel blieb, so krampfte
sich jedem das Herz zusammen in einem un-
vernünftigen und verzweifelten Schmerz, und
dabei war es doch wie eine Art Befriedigung,
dal? diese ganz unerträgliche Spannung nun end-
lich zu Ende sein würde.. Aber dann erholte
der Lampion sich wieder.
Es war schon so dunkel im Zimmer, dal? nur
die Zigaretten als dunkelrote Punkte leuchteten,
denn der Lampion hatte kaum noch im Auf-
glühen die Kraft, auch nur sich selber zu er-
hellen. Einmal, als der Lampion ganz hoffnungs-
los lange sich ausruhte, sagte irgend jemand mit
seltsam rauher Stimme-,
jetzt ist ertöt. Aber nie-
mand antwortete, denn
im selben Moment glüh-
te ein ganz schwacher
Schimmer in den rosa
Pflaumenblüten des
Lampions auf, und die-
ser leichte Hauch von
Licht war wie ein großes
Glück, und das leise
Aufatmen einer unbe-
greiflichen Erleichte-
rung ging durch dasZim-
mer. Dann war es wie-
der dunkel und Minuten
verstrichen. Jeder hielt
den Atem an, und die
Augen waren in hartnäckiger Gebanntheit auf
den dunklen Lampion gerichtet, und keiner
wollte begreifen, daß dieses letzte Zucken wirk-
lich das letzte, das allerletzte, unwiderruflich
letzte gewesen sei.
Die Stille wurde drückend, sie wurde un-
heimlich, beängstigend. Und plötzlich mitten
in diese lautlose Stille hinein klang ein leiser
Schrei, natürlich kein lauter wirklicher Schrei,
das kommt unter gebildeten Menschen nicht
vor, aber doch ein dumpfer, erstickter Laut wie
ihn Menschen im Schlaf ausstoßen, wenn sie
von einem schweren Traum geängstigt sind.
Jeder einzelne begriff diesen Laut. Es war, als
hätten sie ihn alle zugleich ausgestoßen, denn
vor ihren Augen, die von dem unablässigen
Starren auf einen Punkt getrübt waren, er-
schien der Lampion, der tote schwarze Lam-
pion in den seltsam nebelhaften Formen eines
abgeschnittenen menschlichen Kopfes, eines
menschlichen Gesichtes mit leidvoll und un-
endlich resignierten, verzerrten Lippen und
großen, halb geschlossenen, verquollenen Augen
— und von dem glatt abgeschnittenen Halse
hing die dünne Schnur, in einem leisen Wind-
zug schaukelnd, wie ein feiner Faden von rin-
nendem Blut. Es wagte keiner sich zu rühren,
sie fühlten ein unvernünftiges kindliches Grauen
kalt durch den Rücken kriechen und starrten
wie gebannt auf den verquollenen Kopf, an dem
die helleren Stellen sich wie der Beginn einer
grindigen Verwesung undeutlich abzeichneten.
Plötzlich riß sich einer aus seinem Sessel em-
por, und mit der ver-
rückten Bewegung eines
Ertrinkenden stieß er
die Tür zum Neben-
zimmer auf.
Ein breiter, schmer-
zend heller Lichtstrom
durchflutete das Zim-
mer, und in der Mitte
hing der Lampion, ein-
fach ein hübscher chi-
nesischer Lampion mit
hellrosa Pflaumenblü-
ten auf grünem Grunde,
der für den unglaub-
lich billigen Preis von
sechzig Pfennigen zu
haben war.
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