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Der Orchideengarten : phantastische Blätter — 1.1919

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Sechstes Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.29026#0145
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DAS ELEKTRISCHE KLAVIER
Von Leonhard Stein (mit 3 Zeichnungen von Edwin Henel)


US der Tiefe meines
Lebens tritt Enrico
Gini, in der Hand den
Kontrakt.
*
Ich sah ihn im Speise-
wagen auf der Fahrt
nach Krakau, erkann-
■A te ihn sogleich, setzte
mich zu ihm. Er lastete auf zwei Stühlen, eine
verfettete Ruine seines früheren Ruhms. Das
wulstige Gesicht mit den blendend schwarz
gefärbten Haaren aufgedunsen und zerfressen
zugleich von Weibern und Schnaps. Nur die
Hände waren noch merkwürdig weil? und ge-
lenkig von den ersten Konzertsälen Europas.
Ich erkundigte mich nach seinem Befinden.
„Danke!“ schnaufte er. „Man krepiert.
Können Sie mir fünfzig Kronen bis Krakau
leihen?“
Dann bestellte er lärmend Schinken mit Ka-
viar und eine Flasche Rotwein. Der Zug hatte
wie immer Verspätung, erst am Abend fuhren
wir in Krakau, das rot durch den Schnee wie
die Esse des Todes glühte, ein.

Der Winter in Krakau ist eisig und feucht,
überflutet vom Schnee der Welt und klagend
wie der Wind, der in den schmalen polnischen
^Veiden weint. Auf dem Ringplatz flirren
Kleider und Parfüms von jungen Mädchen,
Offizieren, Schlachtschitzen, alle von einem
dünnen, frostigen Hauch überkühlt. An einer
Ecke stol?e ich auf Gini im abgetragenen Pelz,
schreiender Kr awatte mit falscher N adel. Unter
dem Arm schleift er eine junge Polin mit schwe-
rem, erdbraun glänzendem Haar.
„Fräulein Stefania“ schnauft er. „Den Zu-
namen hab ich vergessen.“
Stefania lächelt mich aus einer Wrolke Par-
füm mit kleinen weiten Zähnen an. Gini legt
erhaben die Rechte auf ihre Schulter.
„Ich stehe noch mit einer Kleinigkeit in Ihrer
Schuld, j'unger Freund. Bisher mul?te Ihnen mein
Namen bürgen. Nun aber eile ich zu meinem
Impresario, den Kontrakt für die Klavier-
konzerte in dieser Stadt zu unterfertigen, der

Sie schadlos halten wird. Sie können gleich
mitkommen, wenn Sie Ihr Geld nötig haben.
Ich lehne beschämt ah. Aber Stefania hängt
sich freimütig in mich ein und bittet mit Mäd-
chenaugen und weichem gebrochenem Deutsch.
„Sie kommen doch mit, nicht wahr? Es sein
nicht weit von hier, im Hotel Poniatowski.
Und er sein so ein großes Kind, mein Enrico,
und lassen sich begaunern von die Juden, wenn
niemand dabeisteht.“
Wir gehen zu dritt weiter durch den Schnee.

Das Hotel Poniatowski starrt aus irgend-
einer Seitengasse schon nahe der Vorstadt. Sein
Schicksal scheint ebenso traurig zu sein, wie
das des letzten Königs von Polen. Ein drei-
stöckiger verwitterter Bau, dessen regelmäßige
trübe Fenster wie tote Augen gähnen. Im Erd-
geschoß ein verrostetes, halbgeöffnetes Tor,
rechts ein Kaffeehaus, links ein Automaten-
büfett, aus dem Instrumente schrill klimpern.
Wir betreten das Cafe.
Eine V/olke von Rauch und Knoblauch
schlägt uns entgegen. Langsam unterscheiden
wir: Zwei Reihen von falschen Marmortischen,
daran polnische Juden mit Löckchen und Kaf-
tanen, teils einsam hockend wie Marabus, teils
W^orte und Knoblauchreste rasend hervor-
geifernd. Im Hintergrund ein Verschlag mit
einer Uralten vor einer Batterie Schnäpse. Das
ist das Cafe Poniatowski. Ein Junge, im schä-
bigen Kellnerfrack ohne Kragen, fragt nach
unseren Wünschen.
„Drei Jarzebinka!“ schnauft Gini. „Und
Lazar Schmel soll kommen.“
Der Junge bringt die Schnäpse in schmierigen
Gläsern, Gini trinkt zuerst den seinen, dann
die unseren aus. Stefania läßt es hingebend
geschehen. Ich unterbreche die Feier.
„Schmel heißt Ihr Impresario?“
„So ist es“ knurrt Gini. „Elendes Volk. Ich
ging natürlich zuerst in den Konzertsaal. Aber
da machten sie Ausflüchte. Infolge des irr-
sinnigen Gerüchts, daß ich bei meinem letzten
Budapester Konzert nicht mehr ganz nüchtern
gewesen wäre. Die Kollegen, Sie verstehen?
Elendes Pack!“

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