Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Orchideengarten : phantastische Blätter — 1.1919

DOI Heft:
Sechstes Heft
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.29026#0154
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
eine Katze hüpfte sie schnell, mit der Bewe-
gung: auf und ab, ab und auf, über den Tep-
pich hin, heim Nachttisch an gekommen, war
sie mit einem Satz auf dem Marmor, tastete
unter den Flaschen umher, entkorkte eine der-
selben, nahm sie und goß einige Tropfen dar-
aus in ein Trinkglas; dann, bis zur Nase des
Schlafenden kletternd, zwickte sie ihn so, daß
er mit einem Nießen erwachte, dann tauchte sie
in den Bettüchern unter, hüpfte zur Erde, wo ich
sie nicht mehr beachtete, meine ganze Aufmerk-
samkeit nur noch auf den Kranken gerichtet.
Dieser sagte: „Wie mich dürstet!” Und ohne
daß ich mich, zu meinem furchtbaren unsäg-
lichen Entsetzen, von meinem Stuhl, auf dem
mich eine teuflische Kraft festhielt, erheben
konnte, ergriff er das Glas und trank . . .
Genau von diesem Augenblicke an fühlte"ich
mich gleichsam losgebunden und stürzte zum
Bett, wo ich nur noch den Tod des Majors
konstatieren konnte. Ohne mich mit nutzlosen
Wiederbelebungsversuchen aufzuhalten, sah
ich mir die Arzneiflasche an, deren sich die
Hand bedient hatte — (es ist notwendig, davon
zu sprechen). Sie enthielt ein blitzartig wir-
kendes Gift und war durch Unachtsamkeit
zwischen den Arzneiflaschen und den Phiolen
mit kühlendem Balsam zurückgeblieben.
Ich war vernichtet, wie ihr euch wohl den-
ken könnt, und es verflossen einige Minuten,
bevor mir alle Sinne zurückkehrten. Nachdem
dies geschehen war, dachte ich sofort daran,
die Umgebung des Majors zu benachrichtigen,
doch ehe ich die Tür gewann, warf ich instink-
tiv einen Blick nach dem Tisch, wo die Hand
gewöhnlich ausgestellt war. Sie befand sich
dort, unter Glas, genau so, wie sie seit Jahren
und Jahren dort zu liegen pflegte . . .“
„Eine gute Posse! Ha, Freund Hans, du
hattest eine schöne Halluzination, das ist alles!“

„Der Fall liegt so. daß es, als Halluzination
Princejbs, sogar Regale ist.
Divinum aut fcotius Diabolicum!“
Hans schloß:
„Der Tod wurde normalen Ursachen zuge-
schrieben, das Begräbnis fand statt, die Zeit
verging. Ich mußte öfters als einmal wegen ver-
schiedener Sachen in Müllers Haus gehen. Ich
verfehlte nicht, die Hand zu betrachten, die in
dem seit der Katastrophe unhenützten Zimmer
zurückgeblieben war und konstatierte ohne
Erstaunen, ja, ohne Erstaunen — haltet mich
für verrückt, wenn ihr wollt, — ich habe un-
zählige Male einen Haufen von Büchern, deren
bloße Namen euch, so gelehrt ihr seid, unbe-
kannt sind, über diesen Gegenstand gelesen —
ich konstatierte ohne Erstaunen eine Zersetzung
in den Geweben der Muskulatur. Nur das
Knochengerüst blieb unberührt. Dazu kamen
Symptome der Auflösung, Flecken, Schlaffheit
usw. . . . Eines Tages, verzeiht, die bloße Er-
innerung hebt mir den Magen vor Entsetzen
und Abscheu — eines Tages sah ich: die
Würmer .r
„Pfui! Genug, genug!“
„D as macht nichts. Es ist wahr, so wahr, als
wir alle hier sitzen!“
Nachdem er das gesagt hatte, entfernte sich
unser Erzähler, gleichsam glücklich und stolz
über den hervorgebrachten Eindruck, während
seine Kameraden einander mit offenem Munde
ansahen, manche beinahe erschreckt, andere
beinahe lachend, alle unter einem sichtbaren
Eindruck; und als eine Diskussion auf ihr Still-
schweigen folgen wollte, sagte der immer skep-
tische Fritz : „Wie wäre es, wenn wir ein Glas
scharfen Schnaps tränken? Das würde unsere
Gedanken reinigen. „Angenommen!
Und ich kann euch gestehen, bis zum Hahnen-
schrei stürzte man noch viele Züge hinunter.
So endete die Geschichte von Major Müller.


12
 
Annotationen