DAS TREIBHAUS
WUNDERLICHES UND ABSONDERLICHES
Dieser Teil des „Orchideengarten" wird von Dr. Max Kemmerich bestellt.
Räumliches undf zeitliches Fernsehen.
Der Herzog von Saint-Simon berichtet in
seinen Memoiren (Paris 1829,|Tom.,V. S.120 ff„
Übersetzung von H. Flörke) folgendes: „Ich
lasse hier etwas folgen, was der Herzog von
Orleans mir im Salon des Schlosses von Marly
erzählte, in einer Ecke, wo wir in vertrautem
Gespräch weilten, an einem Tage, da er, auf
dem Punkte nach Italien abzureisen, von Paris
ankam. Die durch damals nicht vorauszu-
sehende Ereignisse bestätigte Seltsamkeit des
Vorganges veranlaßt mich, nicht mit Still-
schweigen darüber wegzugehen.
Er bekundete lebhaftes Interesse für Künste
und Wissenschaften aller Art und hatte, bei
unendlich viel Geist, die am Hofe der Kinder
Heinrichs II. so gewöhnliche Schwäche, die
Katharina von Medici unter andern Sitten aus
Italien mitgebracht hatte. Er war auf alle
Weise bemüht gewesen, den Teufel ins Gesicht
zu bekommen, jedoch ohne daß es ihm gelungen
wäre, wie er mir oft gesagt hat, ferner außer-
gewöhnliche Dinge zu erlangen und die Zu-
kunft vorauszuwissen.
Die Sery hatte ein kleines Mädchen von
acht oder neun Jahren bei sich, das im Palais
Royal geboren worden war und es nie ver-
lassen hatte — ein Kind, das die ganze Un-
wissenheit und Einfalt besaß, die diesem Alter
und dieser Erziehung eigen sind. Unter anderen
Schelmen, die sich mit verborgenen, merk-
würdigen Dingen abgeben, und von denen der
Herzog von Orleans in seinem Leben viele
kennen gelernt hatte, führte man ihm bei seiner
Maitresse einen vor, der behauptete, er werde
in einem mit Wasser gefüllten Glase alles
sehen lassen, was man würde wissen wollen.
Er verlangte eine junge, unschuldige Person,
damit sie hineinschaue, und das genannte kleine
Mädchen erwies sich als geeignet. Man ver-
gnügte sich also damit wissen zu wollen, was
damals selbst an entfernten Orten vor sich
ging, und das kleine Mädchen sah ins Glas und
teilte alles mit, was sich ihm darin zeigte.
Dieser Mann sprach ganz leise über dem mit
Wasser gefüllten Glase einige Worte, und
alsbald sah man mit Erfolg hinein.
Die Täuschungen, denen der Herzog von
Orleans oftmals zum Opfer gefallen war, ver-
anlaßten ihn zu einer Probe, die ihm Gewiß-
heit verschaffen konnte. Er befahl einem seiner
Leute ganz leise ins Ohr, sogleich zu Frau
von Nancre zu gehen, die ihre Gemächer ganz
in der Nähe hatte, sich gut einzuprägen, wer
dort war, was dort getrieben werde, die Lage
und Einrichtung des Zimmers und dann zu-
rückzukehren, ohne einen Augenblick zu ver-
lieren, noch mit jemand zu sprechen. Im Hand-
umdrehen wurde der Auftrag ausgeführt, ohne
daß jemand gewahr wurde, was vorging, und
während das kleine Mädchen sich in dem Ge-
mach aufhielt, wo das Glas stand.
Sobald der Herzog von Orleans unterrichtet
war, sagte er zu dem kleinen Mädchen, es solle
in das Glas sehen und sagen, wer bei Frau
von Nancre' sei und was dort vor sich gehe.
Alsbald erzählte es ihm MVort für Wort alles,
was der Abgesandte des Herzogs dort gesehen
hatte: Die Beschreibung des Gesichts, der Ge-
stalt, der Kleidung der Leute, die sich dort
befanden, die Stelle, wo sie sich im Zimmer
aufhielten, die Personen, die an zwei verschie-
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