Die Mutter Bon-
temps beichtete und
bekam Absolution
und Abendmahl. Der
Priester ging, und die
beiden Frauen blie-
ben wieder allein in
der Hütte, in der es
zum Ersticken war.
Und wieder sah
sich die Rapet die
Sterbende an und
fragte sich, ob das
wohl noch lange
dauern werde. —
Die Alte lag un-
beweglich, hatte die
Augen offen und
schien gleichgültig
auf den Tod zu war-
ten, der so nahe war
und der dennoch
nicht kommen wollte.
Nach Einbruch
der Nacht kam
Honore zurück. Er
trat zum Bett und
fragte :„Wie geht's ?“
So gleichgültig wie
er immer gefragt
hatte, wenn seine Mutter mitunter nicht wohl
gewesen war. Dann schickte er die Rapet
fort und trug ihr auf: „Morgen früh um fünf,
aber pünktlich.“ Bei Tagesanbruch war sie
wirklich wieder da. — Honore löffelte
noch seine Suppe, die er selbst gekocht hatte,
ehe er in die Felder ging. Die Leichenfrau
fragte: „Na, hat’s Eure Mutter noch über-
lebt?“
Mit einem verschlagenenBlinzeln antwortete
er: „Freilich, freilich, es geht ihr sogar besser.“
Und fort war er.
Die Rapet wurde unruhig, trat zu der Tod-
kranken, die in derselben Verfassung unver-
ändert und teilnahmslos mit offenen Augen
dalag, und deren Hände auf der Bettdecke ver-
krampft waren. Da wurde es der Wärterin
freilich klar, dal? es noch zwei, vier, ja acht
Tage dauern könne. Da schnürte die Angst
ihr habgieriges Herz zusammen und wilder
Zorn überkam sie gegen den Halunken, der sie
übers Ohr gehauen
hatte, und gegen die
Bäuerin, die nicht
sterben wollte.
Schliel?lich setzte
sie sich dennoch
wieder an ihre Ar-
beit und wartete
weiter. Ihr Blick
aber ruhte starr auf
dem runzligen Ant-
litz der Mutter Bon-
temps.
Zur Brotzeit kam
der Bauer zurück.
Er sah zufrieden
drein, beinahe lu-
stig. Schliel?lich ging
er wieder. Und er
brachte sein Ge-
treide so herein, dal?
er zufrieden sein
konnte.
Die Rapet wurde
immer aufgeregter.
Jede verronnene Mi-
nute schien ihr jetzt
gestohlene Zeit, ge-
stohlenes Geld. Die
wilde Gier überkam
sie, diese dumme, eigensinnige, starrköpfige Alte
an der Gurgel zu packen und mit einem kleinen
Druck diesen hastenden zwirndünnen Atem
abzubrechen, der ihr Geld und Zeit stahl. —
Aber sie dachte, dal? das wohl zu gefährlich
sei. Und ein anderer Gedanke fuhr ihr
durchs alte Hirn. Sie trat zum Bett und
fragte: „He, Mutter, habt Ihr schon einmal
den Teufel gesehen?“
„Nein“, murmelte die alte Bontemps.
Da begann die Leichenfrau zu schwatzen
und Schauergeschichten zu erzählen, um den
schwachen Verstand der Sterbenden durch
Angst und Schrecken ganz zu verwirren.
Und sie erzählte: Einige Augenblicke, bevor
sie den letzten Seufzer tun, erscheine der Teufel
allen Sterbenden. Er habe einen Besen in der
Hand, einen Krug auf dem Kopfe und schreie
gotteslästerlich. Wenn man ihn gesehen habe,
sei es aus, man habe nur mehr wenige Schnaufer
zu machen. Und sie zählte alle die auf, denen
Oskar Schön / Erscheinung
I O
temps beichtete und
bekam Absolution
und Abendmahl. Der
Priester ging, und die
beiden Frauen blie-
ben wieder allein in
der Hütte, in der es
zum Ersticken war.
Und wieder sah
sich die Rapet die
Sterbende an und
fragte sich, ob das
wohl noch lange
dauern werde. —
Die Alte lag un-
beweglich, hatte die
Augen offen und
schien gleichgültig
auf den Tod zu war-
ten, der so nahe war
und der dennoch
nicht kommen wollte.
Nach Einbruch
der Nacht kam
Honore zurück. Er
trat zum Bett und
fragte :„Wie geht's ?“
So gleichgültig wie
er immer gefragt
hatte, wenn seine Mutter mitunter nicht wohl
gewesen war. Dann schickte er die Rapet
fort und trug ihr auf: „Morgen früh um fünf,
aber pünktlich.“ Bei Tagesanbruch war sie
wirklich wieder da. — Honore löffelte
noch seine Suppe, die er selbst gekocht hatte,
ehe er in die Felder ging. Die Leichenfrau
fragte: „Na, hat’s Eure Mutter noch über-
lebt?“
Mit einem verschlagenenBlinzeln antwortete
er: „Freilich, freilich, es geht ihr sogar besser.“
Und fort war er.
Die Rapet wurde unruhig, trat zu der Tod-
kranken, die in derselben Verfassung unver-
ändert und teilnahmslos mit offenen Augen
dalag, und deren Hände auf der Bettdecke ver-
krampft waren. Da wurde es der Wärterin
freilich klar, dal? es noch zwei, vier, ja acht
Tage dauern könne. Da schnürte die Angst
ihr habgieriges Herz zusammen und wilder
Zorn überkam sie gegen den Halunken, der sie
übers Ohr gehauen
hatte, und gegen die
Bäuerin, die nicht
sterben wollte.
Schliel?lich setzte
sie sich dennoch
wieder an ihre Ar-
beit und wartete
weiter. Ihr Blick
aber ruhte starr auf
dem runzligen Ant-
litz der Mutter Bon-
temps.
Zur Brotzeit kam
der Bauer zurück.
Er sah zufrieden
drein, beinahe lu-
stig. Schliel?lich ging
er wieder. Und er
brachte sein Ge-
treide so herein, dal?
er zufrieden sein
konnte.
Die Rapet wurde
immer aufgeregter.
Jede verronnene Mi-
nute schien ihr jetzt
gestohlene Zeit, ge-
stohlenes Geld. Die
wilde Gier überkam
sie, diese dumme, eigensinnige, starrköpfige Alte
an der Gurgel zu packen und mit einem kleinen
Druck diesen hastenden zwirndünnen Atem
abzubrechen, der ihr Geld und Zeit stahl. —
Aber sie dachte, dal? das wohl zu gefährlich
sei. Und ein anderer Gedanke fuhr ihr
durchs alte Hirn. Sie trat zum Bett und
fragte: „He, Mutter, habt Ihr schon einmal
den Teufel gesehen?“
„Nein“, murmelte die alte Bontemps.
Da begann die Leichenfrau zu schwatzen
und Schauergeschichten zu erzählen, um den
schwachen Verstand der Sterbenden durch
Angst und Schrecken ganz zu verwirren.
Und sie erzählte: Einige Augenblicke, bevor
sie den letzten Seufzer tun, erscheine der Teufel
allen Sterbenden. Er habe einen Besen in der
Hand, einen Krug auf dem Kopfe und schreie
gotteslästerlich. Wenn man ihn gesehen habe,
sei es aus, man habe nur mehr wenige Schnaufer
zu machen. Und sie zählte alle die auf, denen
Oskar Schön / Erscheinung
I O