Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Orchideengarten : phantastische Blätter — 1.1919

DOI Heft:
Siebentes Heft
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.29026#0182
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Teil meines Lebens hindurch und trug eine
Last wie ein Kamel.“
„Dies alles“, sprach der Priester ungeduldig,
„ist gewiß interessant; aber nun gebeut dir Gott,
du sollest schwere Sünden beichten, wie Mord,
Notzucht, Raub oder Diebstahl; ferner Un-
zucht, Völlerei, Lüge und Trug; ferner Spiel
und Fluchsucht, Verletzung der Schwachen,
Gottlosigkeit und Untreue; nicht nur Taten,
sondern auch Reden und Gedanken gegen
Gesetz und Tugend.“
„Sicher habe ich auch solche Taten verübt,“
sagte Manoel; „willst du es so überaus gern
wissen, so magst du denn hören, daß ich ent-
weder in der Abwehr oder im Angriff, je nach
den verschiedensten Regeln, und mit großer
Kraft getötet Labe; was dann die Unzucht
betrifft, so kann ich dir die verschiedenen
Frauen der Welt beschreiben, deren jede einer
neuen Landschaft oder einer neuen Insel glich,
die du aus Neugier und Staunen betrittst. Das
sind an und für sich schon des Erzählens wür-
dige und bedeutsame Einzelheiten, aber nun-
mehr erscheinen sie mir weniger wichtig; ich
wundere mich mehr und denke mehr darüber
nach, daß ich so große Fernen gesehen habe,
daß ich vor ihnen gebangt habe wie vor Ab-
gründen, und daß ich mich doch mit Freude
und ohne Zögern hineingestürzt habe.“
Da seufzte der Priester und sagte: „Bedaure
lieber deine Sünden, auf daß Gott sie dir ver-
zeihe, bevor du gerichtet wirst.“ Aber Manoel
erwiderte: „Ich bedaure nichts von allem, was
ich getan; mein Le-
ben war eine einzige
Absicht, und ich
weiß nicht, was
daneben Gutes oder
Böseswar;ich glaube,
es ist am wichtigsten,
daß ich jede Rich-
tung der Welt kenne
und nach allenWelt-
gegenden gesegeltbin,
und daß ich unter-
wegs alle Meere und
Länder gesehen habe.
Und ist es nicht
wichtiger denn alles,
daß ich so viele
gesegnete und wüste

Ländereien gesehen und immer neuen Ländern
und "Wundern und Fernen begegnet bin?“
„Fürchte dich vor der letzten Gerechtigkeit!“
rief der Priester sehr laut, von Zorn befallen.
„Gerecht und anständig ist es,“ sprach Ma-
noel zu ibm, „mein Leben nicht nach Gut und
Böse zu messen, sondern nach den Fernen, die
ich durchschritten; aber ah! jetzt liege ich da
auf der Seite wie ein wrackes Schiff und kann
nicht weiter.“
„So fahr denn zur Hölle, schweinischer
Seemann,“ schrie der Priester, „nimmer sah
ich einen Menschen in seinem letzten Stünd-
chen so verstockt; irgendein furchtbarer Fluch
muß auf dir liegen, daß du so sprichst.“ Sagte
es und eilte davon.
„Geh, Priester,“ rief Manoel ihm nach, „ich
weiß nicht mehr, was du von mir willst.“
Und der Priester war fort, und Manoel
drehte sich zur Wand, um zu schlafen. Da
träumte er, er gehe durch die Straßen einer
Stadt, ohne zu wissen, warum und wohin, bis
er plötzlich staunend erkannte, daß er im Hafen
am Wasser stand. Das Wasser war dunkel,
plätscherte leise und benetzte die Flanken der
schwarzen Schiffe, die verlassen schienen. Nur
ein einziges großes Fahrzeug stand mitten da-
zwischen, und auf seinem Verdecke flimmerten
rote Lichter wie vor der Abfahrt, und rings-
herum tanzten kleine Boote auf dem V/asser.
Neben Manoel blieben zwei Männer stehen
und sprachen laut miteinander; aber Manoel
strengte vergeblich
die Blicke an, um sie
zu erkennen; auch
vermochte er kein
einziges Wort ihres
Gespräches zu erha-
schen, obzwar sie in
keiner fremden Spra-
che redeten. Wäh-
rend sie so plauder-
ten, ertönte auf dem
Verdeck jenes Schif-
fes eine große Glocke
und läutete seltsam
und maßlos lang. Da
stiegen die beiden
Männer ungern und
zögernd in das Boot
 
Annotationen