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Der Orgelmann oder der langsame Selbstmord

F. Stark

wissen nicht mehr weiter. In solchen Augen-
blicken oder Stunden erfühlt vielleicht der
Mensch, so denke ich, das Einsamsein aller
lebendigen Dinge. Lebendigen Dinge? Gibt es
lebendige Dinge? Ja, denn irgendwer sagte ein-
mal : „Alle Dinge werden durch dich, o Mensch,
lebendig!“ Wie geschickt!
Ich aber kann sagen: „Es gibt kein lebendiges
Ding in solchen Winternächten!“ Da ist alles
gestorben und schläft verdorrt unter schneeiger
Hülle. Kein Ding hat Kontur, alles ist un-
faßbar weiß, geisterhaft weiß. Schnee, endloser
Schnee. Und funkelnde Fenster auf Halbmast.
Und —
Und da vorn die weiße Gestalt, die kerzen-
gerade -—
Wo denn? Wo? Wro? —
Um mich ist winterliches Ödland. Keine
Stadt mehr, nichts, gar nichts! —
Sonderbar. Auch kein W'eg ist hier und
keine Fußspur. Wie plötzlich mein Herz still-
steht, wie mein Blut ins Hirn peitscht . . .

Nein, nochmal nein! Hier ist weder Weg
noch Stadt, noch ein Tanzlokal oder sonstwas.
Nur Schnee, Schnee, Schnee.
Niemand ....
Da stöhnt es. Mir rieselt kalter Schweiß
den Rücken hinunter. Atem stockt. Plötzlich,
wie weitausgeholt eine weiche, wie aus un-
denkbaren Fernen kommende Ätherstimme:
„Verfolgst du mich noch immer?“
Ich stehe, rufe eisig: ,Ja!“ Doch klingt es
tonlos, als fiele ein Stück Eis aus unbekannter
Höhe zur Erde und zerschelle.
Wieder fragt es: „W^arum tust du das?“
Ich sinne. Dann entkommt es mir wohlüber-
legt: „W'eil ich wissen möchte, wer du bist!“
Und wieder wie verzeihend: „W^arum
wollen die Menschen immer alles wissen?“
Ich stocke. Dann: „Um weiterzukommen.“
Erst ist's ein Lächeln, aber eines, das arglos,
fast mütterlich klingt.
Dann kam diese Antwort, die über den
weiten Schnee zitterte wie sänftigende Glät-

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