tung: „Weiterkommen? Wohin denn? Der
Wissende kommt nicht weiter, das merke!
Wissen kann niemand und jeder. Niemand
und jeder kann leben ohne Wissen. Obwohl
ihr alle soviel vom Wissenden erwartet, hat
er euch niemals mehr gesagt, als das, was war
und was ewig sein wird. Und dieses wißt ihr
alle. Nur er findet das Wort dafür.“ —
Da hielt ich nicht mehr zurück, und meine
Knie zitterten: „W^as sollen wir denn dann tun?“
Und mit diesen Worten erstarb die Stimme:
„Glauben, was niemand glaubt und wissen, was
jeder weil?!“
Ich griff an meinen schweil?triefenden Kopf:
„Niemand und jeder!“
Alles schwieg, alles war weit, weil? und
endlos.
Durch die Fenster starrten schneebedeckte
Hausdächer. Heute müssen alle Schritte un-
hörbar sein.
Aus fernem Himmel sank blasser, glä-
serner Tag ins Gemeng der Häuser: Nie-
mand und jeder gehen um, keinen Weg wissend,
nichts, als — dal? es Winter ist und weil? und
schneeig ....
c
DIE TOTENWACHT
Nach den Metamorphosen des Apuleius bearbeitet von E. Scupin (mit 4 Zeichnungen von Paul Neu)
DAS Gastmahl hei meiner Tante Byrrhäna
war herrlich. Die Tischbetten glänzten
von Elfenbein und waren mit goldenen Decken
überhangen. Grol?e, kostbare Pokale aus Glas,
Kristall, blankem Silber und feinstem Gold luden
zum Trinken ein. Gerichte gab's im Uberflul?.
Man brachte Licht, und das Tisch-
gespräch ward lebhaft. Man lachte, scherzte,
witzelte. x
Byrrhäna wandte sich mir zu: „Nun, mein
lieber Lucius, wie gefällt es dir bei uns? Meines
Wissens kann sich unsere Stadt Hypata vor
allen anderen Städten sehen lassen mit ihren
Tempeln, Bädern und anderen öffentlichen Ge-
bäuden. Auch hat man bei uns völlige Freiheit,
zu leben wie man will.“
„Gewi!?, liebe Tante,“ antwortete ich, „ich
habe mich in der Tat noch nirgends so frei
gefühlt wie hier. MVenn nur die böse Magie
nicht wäre! Ihretwegen bin ich in ständiger
Unruhe, sie treibt so heimlich hier ihr^Vesen,
dal? kein Mensch sich vor ihr schützen kann.
Sollen doch sogar dieTotenindenGräbernnicht
sicher sein; von den Scheiterhaufen holt man
dieReste derLeichen hinweg, ja einige Zauberin-
nen stehlen, wie man mir sagt, mit unglaublicher
Behendigkeit noch während der Beisetzungs-
feierlichkeit die Leichen von den Bahren. ‘
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Wissende kommt nicht weiter, das merke!
Wissen kann niemand und jeder. Niemand
und jeder kann leben ohne Wissen. Obwohl
ihr alle soviel vom Wissenden erwartet, hat
er euch niemals mehr gesagt, als das, was war
und was ewig sein wird. Und dieses wißt ihr
alle. Nur er findet das Wort dafür.“ —
Da hielt ich nicht mehr zurück, und meine
Knie zitterten: „W^as sollen wir denn dann tun?“
Und mit diesen Worten erstarb die Stimme:
„Glauben, was niemand glaubt und wissen, was
jeder weil?!“
Ich griff an meinen schweil?triefenden Kopf:
„Niemand und jeder!“
Alles schwieg, alles war weit, weil? und
endlos.
Durch die Fenster starrten schneebedeckte
Hausdächer. Heute müssen alle Schritte un-
hörbar sein.
Aus fernem Himmel sank blasser, glä-
serner Tag ins Gemeng der Häuser: Nie-
mand und jeder gehen um, keinen Weg wissend,
nichts, als — dal? es Winter ist und weil? und
schneeig ....
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DIE TOTENWACHT
Nach den Metamorphosen des Apuleius bearbeitet von E. Scupin (mit 4 Zeichnungen von Paul Neu)
DAS Gastmahl hei meiner Tante Byrrhäna
war herrlich. Die Tischbetten glänzten
von Elfenbein und waren mit goldenen Decken
überhangen. Grol?e, kostbare Pokale aus Glas,
Kristall, blankem Silber und feinstem Gold luden
zum Trinken ein. Gerichte gab's im Uberflul?.
Man brachte Licht, und das Tisch-
gespräch ward lebhaft. Man lachte, scherzte,
witzelte. x
Byrrhäna wandte sich mir zu: „Nun, mein
lieber Lucius, wie gefällt es dir bei uns? Meines
Wissens kann sich unsere Stadt Hypata vor
allen anderen Städten sehen lassen mit ihren
Tempeln, Bädern und anderen öffentlichen Ge-
bäuden. Auch hat man bei uns völlige Freiheit,
zu leben wie man will.“
„Gewi!?, liebe Tante,“ antwortete ich, „ich
habe mich in der Tat noch nirgends so frei
gefühlt wie hier. MVenn nur die böse Magie
nicht wäre! Ihretwegen bin ich in ständiger
Unruhe, sie treibt so heimlich hier ihr^Vesen,
dal? kein Mensch sich vor ihr schützen kann.
Sollen doch sogar dieTotenindenGräbernnicht
sicher sein; von den Scheiterhaufen holt man
dieReste derLeichen hinweg, ja einige Zauberin-
nen stehlen, wie man mir sagt, mit unglaublicher
Behendigkeit noch während der Beisetzungs-
feierlichkeit die Leichen von den Bahren. ‘
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