nachdem sieben Zeugen herbeigeholt waren,
wurden die schneeweißen Leintücher von der
Leiche zurückgeschlagen zur Feststellung, daß
der Körper durchaus unversehrt sei. Ein
Schreiber nahm alles zu Protokoll, und nach-
dem dieses unterschrieben, schickte sich die
Dame an, mich zu verlassen. Auf meine Bitte
wurde mir eine Lampe und Öl gebracht, und
nun war ich allein mit der meinem Schutze
anvertrauten Leiche.
Erst sang ich mir ein Liedei, um die Furcht
nicht aufkommen zu lassen, dann aber, je tiefer
und finsterer die Nacht wurde, desto grausiger
wurde mir zumute.
Da plötzlich huscht ein Wiesel herbei, setzt
sich mir gerade gegenüber und starrt mir ins
Gesicht: /Willst du fort, garstige Bestie?1
schrei ich das Tier an, und — husch! — war
es wieder zur Türe hinaus. Einen Augenblick
später aber befällt mich ein so tiefer Schlaf,
daß wohl selbst der delphische Gott nicht leicht
hätte entscheiden können, wer, ob die Leiche
oder ich, dem Scheine nach am meisten tot sei.
Erst das kreischende Geschrei der munteren
Hähne erweckte mich wieder. Im tiefsten er-
schrocken eile ich zur Leiche hin, decke sie
auf und will eben feststellen, ob noch alles un-
versehrt sei, da betritt auch schon die betrübte
Vv?itwe in Begleitung der gestrigen Zeugen das
Zimmer, küßt den Körper des Toten und hält
beim Scheine der Lampe Musterung über seine
Glieder.
Dann ruft sie ihren Haushofmeister Philo-
despotus und befiehlt ihm, mir meinen Lohn
für die wohlgehaltene ^Vacht auszuzahlen.
Dann dankte sie mir für meinen Eifer und ver-
sprach mir, mich beständig unter ihre Freunde
zu zählen.
In hellem Entzücken die blanken Dukaten
in meiner Hand betrachtend, erwiderte ich:
,Herrin. rechne mich lieber unter deine treuen
Diener und befiehl, so oft du meine Dienste
wieder brauchst/
Ich hatte aber noch kaum zu Ende gesprochen,
da speien alle Anwesenden über die böse Vor-
bedeutung aus, fallen über mich her und ver-
prügeln mich gar jämmerlich. Der eine ohr-
feigt mich, der andere gerbt mir die Schultern
mit den Ellbogen, dann hagelt s Rippenstöße,
man tritt mich mit Füßen, rauft mir die Haare
aus und wirft mich schließlich zur Tür hinaus.
Wie ich mich in einer Nebengasse von der
unsanften Behandlung wieder zu erholen suche
und meine unglückselige Rede — freilich leider
zu spät — bedenke, da kommt schon langsam
und mit großem Pomp der Leichenzug über den
Markt daher.
Plötzlich kommt ein alter Mann im Trauer-
gewande herbeigelaufen. Mit lautem Jammern
rauft er sein ehrwürdiges Haar, erfaßt dieBahre
mit beiden Händen und ruft mit lauter, doch
von Schluchzen unterbrochener Stimme:
/Hilfe, ihr Larissäer! Ich beschwöre euch
bei eurem Bürgereide, bei eurer Liebe zum
Vaterland! Hilfe! Nehmt euch dieses ermor-
deten Mitbürgers an und rächt mit strengster
Schärfe an diesem schändlichen verruchten
Weibe die scheußlichste Tat. Denn nur sie
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