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über weite, erleuchtete Plätze — dort steht ihr
Haus. Nun will ich hineintreten voll Un-
geduld und Erwartung — — — da sehe ich:
nicht ihr Haus ist's-die Mühle ist es, die
graue Mühle — — —
Zurück also und weiter! Paläste sind in der
Stadt, gefüllt mit Kunstwerken, mit Bildern,
Büchern; sie zu durchschreiten, in ihnen zu
verweilen mul? eine Lust sein. Dann gibt es
Häuser mit vielen, vielen Zimmern, wo man
arbeiten kann für die Sicherheit, den Wohl-
stand, das Glück der Menschen. Und zwischen
ihnen Gotteshäuser, in denen die Seele Ruhe
und Erquickung findet. Überallhin will ich
gehen, dort genießen, arbeiten, mich nützlich
machen, Gott für die Freude dieses Lebens
danken! — — Aber wenn ich hinkomme — —
die Paläste, die Fabriken, die Amtshäuser, die
Kirchen sind verschwunden, an ihrer Stelle
steht die Mühle, die graue Mühle-
Keine Angst! Noch weiß ich einen sicheren
Weg an ihr vorbei. Aus der Stadt wandere
ich wieder hinaus, über die weite Ebene, dem
Gebirge zu. Durch öde, erstarrte Felsenwild-
nisse führt der gefahrvolle Wreg empor, über
die kalte Pracht weißglitzernder Eisfelder, zur

Spitze. — Und da, wo nichts ist als die Un-
endlichkeit des Himmelsraumes, da steht die
Mühle — o mein Gott — die graue Mühle—-
Zitternd blicke ich um mich. Meine Augen
schweifen über die Erde tief unten. Tausend
W'ege sehe ich, alle bin ich gegangen, am Ende
von jedem fand ich die Mühle, die graue Mühle.
Nun bleibt nur noch einer! Leb wohl, du Wrelt
mit deiner Freude, deiner Schönheit. In mich
selbst will ich mich versenken, den letzten Weg
gehen, der zur Befreiung und zum Glücke führt.
Auf den Schnee setze ich mich, ziehe den
Mantel über den Kopf. Stille ist nun um mich
und Dunkelheit. In die Tiefe dringt der innere
Blick zum Ursprünge meines Daseins. Durch
finstere Gänge schreite ich, an allem Grauen
lautloser Einsamkeit vorbei. Endlich ein fernes
Licht — — Hoffnung ergreift mich, Sicherheit,
Gewißheit — — stärker wird das Licht, weiter
die Gänge — hinaus! — — hinaus — — —!
Da stehe ich vor der Mühle, der grauen
Mühle-
Ihr Tor ist geöffnet.
Barmherzigkeit —Barmherzigkeit!
Muß ich — — —?
Du mußt!


Hans Weiditz (um 1532)

Holzschnitt

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