DER KOPF DER GERICHTETEN
Nacherzählt dem Alexander Dumas von E. Boyer von Berghof (mit vier Zeichnungen von Paul Humpoletz)
ERR Ledru schöpfte aus seinen
Erinnerungen:
Es war im Mai 1793. Ein
wundervoller Frühlingstag,
dem eine ebenso schöne Nacht
folgte, hatte mich zu einem
Ausfluge veranlaßt. Ich kehrte spät heim. Der
Vollmond tauchte die Straßen von Paris in
fahles Licht, gespenstisch zitterten die Schat-
ten der quer über die Straßen gespannten
Straßenlaternen. In der Ferne verlor sich, wie
das Geheul eines hungrigen Schakals anzu-
hören, der Laut eines klagenden Hundes. Re-
volutionärer Enthusiasmus betätigte sich ab
und zu in der Abgabe einiger Gewehrschüsse.
Da durchschnitt die Stille der PlaceTaranne,
die ich langsamen Schrittes durchmaß, der
Hilfeschrei eines geängstigten Weibes. Und
rascher vorwärts schreitend gegen die Rue
Tournon bemerkte ich eine Frau, die sich gegen
die Verhaftung durch eine Patrouille von Sans-
culotten sträubte. Kaum daß sie mich erblickt
hatte, wandte sie sich mit gefaltet aufgehobenen
Händen an mich: Ah, Herr Albert! Da ist ein
Mann, den ich kenne und der gewiß bestätigen
wird, daß ich Solange, die Tochter der Mutter
Ledieu, bin. Nicht wahr? Und im selben
Augenblicke hatte sie auch schon meine Rechte
gefaßt und fiebernd umklammert. Die heiße
Angst zitterte ihr am ganzen Körper entlang,
das fühlte ich durch den groben Kattun, der
ihre Gestalt verunstaltete. Aber ihre Finger
griffen sich fein und weich an.
„Die Tochter von mere Ledieu, so oft du
willst. Du hast keine Bürgerkarte, also marsch
zur Hauptwache, meine Liebe!' Nochmals der
verzweifelte Druck auf meinen Arm. Ich hatte
begriffen.
„Sie sind es, meine arme Solange,"' sagte ich
rasch, „was ist Ihnen doch begegnet!“
„Nun, sehen Sie, meine Herren?“ Ihre Ge-
stalt besänftigte sich. 1
„Es dünkt uns, du tätest besser, Bürger zu
sagen!“
„Verzeihen Sie, Bürger Sergeant,“ erwiderte
das junge Mädchen, „es ist nicht meine Schuld,
sondern die des Berufes meiner Mutter, daß ich
mir die üblen Manieren des noblen Packes, mit
dem wir uns abgeben mußten, noch nicht ab-
gewöhnt habe. Aber ich will mich darin, im
Abgewöhnen nämlich, befleißigen.“
Der ironisierende Ton der letzten Worte
entging dem Führer der Sansculotten, der
stark nach Branntwein roch.
„Ich habe für Mutter Wäsche getragen, Herr
Albert.“ So sprach sie tapfer zu mir. „Und
verspätete mich, ohne daran zu denken, daß ich
meine Ausweiskarte zu Hause vergaß.“
„Sie werden für mich gutstehen, Bürger ...
Albert?“
„Gewiß! Genügt dies?“
„Nein. Denn zuerst: wer wird für dich gut-
stehen? Hast du deine Ausweiskarte, feiner
Herr?“
„Danton! Ist der genug?“
„Wenn Danton für dich gutsteht, dann ist
es recht. Wie und wo willst du aber j'etzt seine
Zeugenschaft anrufen?“
„Im Klub der Cordeliers. Folgt mir dahin.“
Und wir begaben uns nach der Rue de
l’Observance, in der der Cordelierskluh im
alten Franziskanerkloster nächtliche Sit-
zungen hielt. Rasch hatte ich einen Stift zur
Hand,hatte ein Blatt Papier aus meiner Tasche
herausgerissen und darauf einige Worte ge-
schrieben.
Danton, aufgeregt von den Debatten der
Sitzung, stürzte in Sorge um mich aus dem
Saal.
,Ja, Freund Ledru, du hier und unter dem
Verdacht, ein Verschwörer oder gar Royalist
zu sein ? Nein nein, wackere Bürger, für meinen
Freund da stehe ich ein. Genügt dir das, Bürger
Sergeant?“
„Du stehst für ihn gut. Aber auch für sie?“
Der Eigensinn des Schergen klang deutlich in
dieser Frage mit.
„Für sie? Wo ist eine Sie?“
„Hier, diese da!“
„Für ihn, für sie, für alle, die ihn umgeben!“
„Ich danke dir, Bürger Danton, und freue
mich, dich gesehen zu haben. Fahre nur fort,
wie bisher für deines Volkes Wohlfahrt zu
arbeiten. Das Volk wird dich segnen!“
9
Nacherzählt dem Alexander Dumas von E. Boyer von Berghof (mit vier Zeichnungen von Paul Humpoletz)
ERR Ledru schöpfte aus seinen
Erinnerungen:
Es war im Mai 1793. Ein
wundervoller Frühlingstag,
dem eine ebenso schöne Nacht
folgte, hatte mich zu einem
Ausfluge veranlaßt. Ich kehrte spät heim. Der
Vollmond tauchte die Straßen von Paris in
fahles Licht, gespenstisch zitterten die Schat-
ten der quer über die Straßen gespannten
Straßenlaternen. In der Ferne verlor sich, wie
das Geheul eines hungrigen Schakals anzu-
hören, der Laut eines klagenden Hundes. Re-
volutionärer Enthusiasmus betätigte sich ab
und zu in der Abgabe einiger Gewehrschüsse.
Da durchschnitt die Stille der PlaceTaranne,
die ich langsamen Schrittes durchmaß, der
Hilfeschrei eines geängstigten Weibes. Und
rascher vorwärts schreitend gegen die Rue
Tournon bemerkte ich eine Frau, die sich gegen
die Verhaftung durch eine Patrouille von Sans-
culotten sträubte. Kaum daß sie mich erblickt
hatte, wandte sie sich mit gefaltet aufgehobenen
Händen an mich: Ah, Herr Albert! Da ist ein
Mann, den ich kenne und der gewiß bestätigen
wird, daß ich Solange, die Tochter der Mutter
Ledieu, bin. Nicht wahr? Und im selben
Augenblicke hatte sie auch schon meine Rechte
gefaßt und fiebernd umklammert. Die heiße
Angst zitterte ihr am ganzen Körper entlang,
das fühlte ich durch den groben Kattun, der
ihre Gestalt verunstaltete. Aber ihre Finger
griffen sich fein und weich an.
„Die Tochter von mere Ledieu, so oft du
willst. Du hast keine Bürgerkarte, also marsch
zur Hauptwache, meine Liebe!' Nochmals der
verzweifelte Druck auf meinen Arm. Ich hatte
begriffen.
„Sie sind es, meine arme Solange,"' sagte ich
rasch, „was ist Ihnen doch begegnet!“
„Nun, sehen Sie, meine Herren?“ Ihre Ge-
stalt besänftigte sich. 1
„Es dünkt uns, du tätest besser, Bürger zu
sagen!“
„Verzeihen Sie, Bürger Sergeant,“ erwiderte
das junge Mädchen, „es ist nicht meine Schuld,
sondern die des Berufes meiner Mutter, daß ich
mir die üblen Manieren des noblen Packes, mit
dem wir uns abgeben mußten, noch nicht ab-
gewöhnt habe. Aber ich will mich darin, im
Abgewöhnen nämlich, befleißigen.“
Der ironisierende Ton der letzten Worte
entging dem Führer der Sansculotten, der
stark nach Branntwein roch.
„Ich habe für Mutter Wäsche getragen, Herr
Albert.“ So sprach sie tapfer zu mir. „Und
verspätete mich, ohne daran zu denken, daß ich
meine Ausweiskarte zu Hause vergaß.“
„Sie werden für mich gutstehen, Bürger ...
Albert?“
„Gewiß! Genügt dies?“
„Nein. Denn zuerst: wer wird für dich gut-
stehen? Hast du deine Ausweiskarte, feiner
Herr?“
„Danton! Ist der genug?“
„Wenn Danton für dich gutsteht, dann ist
es recht. Wie und wo willst du aber j'etzt seine
Zeugenschaft anrufen?“
„Im Klub der Cordeliers. Folgt mir dahin.“
Und wir begaben uns nach der Rue de
l’Observance, in der der Cordelierskluh im
alten Franziskanerkloster nächtliche Sit-
zungen hielt. Rasch hatte ich einen Stift zur
Hand,hatte ein Blatt Papier aus meiner Tasche
herausgerissen und darauf einige Worte ge-
schrieben.
Danton, aufgeregt von den Debatten der
Sitzung, stürzte in Sorge um mich aus dem
Saal.
,Ja, Freund Ledru, du hier und unter dem
Verdacht, ein Verschwörer oder gar Royalist
zu sein ? Nein nein, wackere Bürger, für meinen
Freund da stehe ich ein. Genügt dir das, Bürger
Sergeant?“
„Du stehst für ihn gut. Aber auch für sie?“
Der Eigensinn des Schergen klang deutlich in
dieser Frage mit.
„Für sie? Wo ist eine Sie?“
„Hier, diese da!“
„Für ihn, für sie, für alle, die ihn umgeben!“
„Ich danke dir, Bürger Danton, und freue
mich, dich gesehen zu haben. Fahre nur fort,
wie bisher für deines Volkes Wohlfahrt zu
arbeiten. Das Volk wird dich segnen!“
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