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„Das Volk.... na ja! Sei’s drum. Deine
Hand, braver Sergeant!“
„Es lebe Danton“,rief die Patrouille begeistert,
bevor sie sieb entfernte.
Ich wollte Danton noch danken, doch da
wurde er vom Klub dringend verlangt und ent-
fernte sich.
„Madame,“ redete ich die, die sich Solange
nannte, an, „wohin darf ich Sie nun bringen?“
„ Wo denn anders als zuMut-
ter Ledieu, Rue Ferou 24.“
Wir sprachen während
des ganzen V^eges fast kein
^Wort. Ein Betrunkener
gröhlte durch die Rue des
Fosses, früher Monsieur le
Prince, wir wichen daher
über die Rue du Petit Lion
aus. Sie trippelte neben mir
her, und ich fand Muße, sie
zu beobachten. Sie mußte
etwa 22 Jahre alt sein. Eine
Brünette mit pfirsichfarbe-
nem Teint, mit geistreichen
großen Augen, mit einer fei-
nen geraden Nase und einem
etwas spöttisch gezeichneten
Munde. Füße undHände wie
die einerKönigin. Ich begriff,
daß sie in ihrer Tracht Auf-
sehen erregen mußte. Als wir
Nummer 24 erreicht hatten,
blieb sie, sich verabschie-
dend, stehen.
„Fräulein Solange, könnte
ich Sie Wiedersehen?“
„Wozu und weshalb?“
„Sie sind eine Aristokratin?“
„Keine Spur. Ich sagte, wer ich sei. Solange
Ledieu.“
„Sie sind so wenig Solange Ledieu, wie ich
Albert heiße. Felix Ledru ist mein Name ....
Sie wollen mir den ihren beharrlich ver-
schweigen. Es ist aber wirklich nur Ihret-
wegen, daß ich um Ihren Namen bat. V?as
Ihnen heute passierte, kann Ihnen morgen ge-
schehen, übermorgen oder nächste Woche mit
schlechterem Ausgange. Ich bin kein Spitzel
der Polizei, ich möchte Ihnen helfen.“
„Was gibt mir die Gewähr, daß ich Ihnen
trauen kann?“

„Das muß Ihnen das eigene Herz sagen.“
Sie sah mich eine Weile prüfend an. Dann
sagte sie, um vieles sanfter, ja fast demütig: „Ich
könnte einen Freund, wie Sie es vorgeben zu
sein oder werden zu wollen, gut brauchen.
Aber nicht für mich, sondern für meinenVater.“
„Wann darf ich Sie Wiedersehen?“
„Morgen um diese Zeit, hier auf der Straße.
Sobald ich Sie vom Fenster aus sehe, eile ich
herunter.“ „Also morgen
um 10 Uhr, Solange.“ —
Die Türe fiel ins Schloß,
der Schlüssel knackte, ich
ging allein weiter.
Am anderenT age brachte
ich Solange einen Ausweis-
schein. Das beruhigte ihr
anfängliches Mißtrauen und
sie vertraute sich mir an
und eröffnete mir, daß sie
mit dem Vater gesprochen
hätte. Ich teilte ihr mit,
wie ich mir seine Rettung
denke. Er müsse fort aus
Paris, aus Frankreich, fort
nach England. Und sie sollte
ihm in Kürze folgen. Doch
war keine Zeit zu verlieren,
denn General Marceau, den
ich für diesen Liebesdienst
gebeten, reiste abends zur
Armee Kleber ab. Er sollte
den Geächteten in seine
mächtige Obhut nehmen.
Solange entschloß sich, mich
noch am selben Abend zu
ihm zu führen. Sie ließ
mich vorerst an der Ecke
des einstigen Hotels Mätignon warten und
sprach mit ihrem Vater nochmals allein. Dann
holte sie mich ab. Dem Hotel Mortemart gegen-
über erhob sich ein unscheinbares Haus, dessen
Tor sie mit ihrem kleinen Schlüssel sperrte.
Sorgfältigst verschloß sie dann wieder die Türe
und kletterte mir voran die zwei Stockwerke
empor.
Unser beider Schatten fiel auf der engen
Balustrade, die rings um das Haus lief, in
langen Umrissen in den Hof. Wie ein eng an-
einander geschmiegtes Liebespaar, dachte ich.
Ein Kater sang seinen greulichen Liebesreigen.


io
 
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