schwaches Stimmchen klagend den Namen
„Albert“ ausspräche. Ich fuhr zusammen und
fühlte, wie meine Haare sich sträubten und
den Versuch machten, sich in ihre teilen zu-
rückzuziehen. Eine einzige Person auf der
Welt nannte mich so. Ich zögerte den Sack
aufzuschnüren; doch da wiederholte sich der-
selbe, nur schwächere und kläglichere Ruf:
„Albert!“
Rasch fuhr meine Rechte in den Sack hinein.
Und da war es mir, als ob Lippen, die noch
warm waren, einen Kuß auf meine Hand
drückten. Ich befand mich in jenem Stadium
des Schreckens, dessen Übermal? uns entweder
sterben läl?t oder, auch dem Schwächling und
Feigling, ein unerhörtes Gefühl von Mut und
Kraft verleiht. Ich nahm den Kopf und
stellte ihn rasch auf den Tisch. Aber gleich-
zeitig erschrak ich vor mir selbst. Denn ich
hatte diesen schrecklichen Schrei ausgestol?en,
der wie der Verdammten Schmerzensklage das
Gewölbe erschütterte.-Es war kein
Zweifel mehr — es war Solanges Kopf.
Ich wimmerte, ich schluchzte, ich starrte
minutenlang wie geistesabwesend vor mich
hin, ohne eine schmerzmildernde Träne zu
finden, ich tobte und lachte, so überlaut und
schrill wie ein Wahnwitziger. Dann setzte
ich mich hin, nahm den Kopf, der voll geron-
nenen Blutes klebte, kül?te ihn auf den Mund
und wiederholte nur immer und immer wieder:
„Solange, Solange, Solange!!“
Und da bildete ich mir ein, oder war es so?
dal? sich die Augen, die halb geschlossen waren,
ein wenig öffneten und zwei Tränen fallen
ließen, worauf sie sich schlossen.
W'as ich sonst noch erlebt, wie mir plötzlich
das Licht ausging, ich fliehen wollte, an der
Tischkante hängen blieb, stürzte und im Falle
den Kopf zum Kippen brachte, wie ich glaubte,
plötzlich den Mund der Guillotinierten auf
meinen Lippen in kaltem, tödlichem Kusse zu
spüren, das alles löste eine wohltätige Ohn-
macht ah.
Am anderen Morgen fanden mich die Toten-
gräber auf und brachten mich langsam wieder
zum Lehen zurück.
-Solange war in der Tat am selben
Tage, da sie mir schrieb, verhaftet, verurteilt
und am nächsten Tage gerichtet worden.
Der Kopf, der mit mir gesprochen, der meine
Hand und meine Lippen berührt, die Augen,
die mich angeblickt und geweint hatten, waren
Solanges Kopf, Augen und Lippen gewesen.
der BALKON
Von Max Rohrer
AUF einen Balkon zu treten, ist auch ein
zweifelhaftes Vergnügen. Niemand garan-
tiert Ihnen, daß der Balkon nicht plötzlich den
tollkühnen V/unsch bekommt, noch weiter in
die freie Luft hinauszuwachsen. Und da stehen
Sie nun freihändig da — spüren plötzlich einen
Ruck unter Ihren Füßen — und taumeln gegen das
Fenster hinter Ihrem Rücken, welches sofort
mit schmerzlichem Klirren zerbricht. Aber
noch ist Ihnen Ihre unerhörte Situation nicht
klar. Statt schleunigst die Flucht zu ergreifen,
was in solchen Fällen als einzige Rettung in
„Albert“ ausspräche. Ich fuhr zusammen und
fühlte, wie meine Haare sich sträubten und
den Versuch machten, sich in ihre teilen zu-
rückzuziehen. Eine einzige Person auf der
Welt nannte mich so. Ich zögerte den Sack
aufzuschnüren; doch da wiederholte sich der-
selbe, nur schwächere und kläglichere Ruf:
„Albert!“
Rasch fuhr meine Rechte in den Sack hinein.
Und da war es mir, als ob Lippen, die noch
warm waren, einen Kuß auf meine Hand
drückten. Ich befand mich in jenem Stadium
des Schreckens, dessen Übermal? uns entweder
sterben läl?t oder, auch dem Schwächling und
Feigling, ein unerhörtes Gefühl von Mut und
Kraft verleiht. Ich nahm den Kopf und
stellte ihn rasch auf den Tisch. Aber gleich-
zeitig erschrak ich vor mir selbst. Denn ich
hatte diesen schrecklichen Schrei ausgestol?en,
der wie der Verdammten Schmerzensklage das
Gewölbe erschütterte.-Es war kein
Zweifel mehr — es war Solanges Kopf.
Ich wimmerte, ich schluchzte, ich starrte
minutenlang wie geistesabwesend vor mich
hin, ohne eine schmerzmildernde Träne zu
finden, ich tobte und lachte, so überlaut und
schrill wie ein Wahnwitziger. Dann setzte
ich mich hin, nahm den Kopf, der voll geron-
nenen Blutes klebte, kül?te ihn auf den Mund
und wiederholte nur immer und immer wieder:
„Solange, Solange, Solange!!“
Und da bildete ich mir ein, oder war es so?
dal? sich die Augen, die halb geschlossen waren,
ein wenig öffneten und zwei Tränen fallen
ließen, worauf sie sich schlossen.
W'as ich sonst noch erlebt, wie mir plötzlich
das Licht ausging, ich fliehen wollte, an der
Tischkante hängen blieb, stürzte und im Falle
den Kopf zum Kippen brachte, wie ich glaubte,
plötzlich den Mund der Guillotinierten auf
meinen Lippen in kaltem, tödlichem Kusse zu
spüren, das alles löste eine wohltätige Ohn-
macht ah.
Am anderen Morgen fanden mich die Toten-
gräber auf und brachten mich langsam wieder
zum Lehen zurück.
-Solange war in der Tat am selben
Tage, da sie mir schrieb, verhaftet, verurteilt
und am nächsten Tage gerichtet worden.
Der Kopf, der mit mir gesprochen, der meine
Hand und meine Lippen berührt, die Augen,
die mich angeblickt und geweint hatten, waren
Solanges Kopf, Augen und Lippen gewesen.
der BALKON
Von Max Rohrer
AUF einen Balkon zu treten, ist auch ein
zweifelhaftes Vergnügen. Niemand garan-
tiert Ihnen, daß der Balkon nicht plötzlich den
tollkühnen V/unsch bekommt, noch weiter in
die freie Luft hinauszuwachsen. Und da stehen
Sie nun freihändig da — spüren plötzlich einen
Ruck unter Ihren Füßen — und taumeln gegen das
Fenster hinter Ihrem Rücken, welches sofort
mit schmerzlichem Klirren zerbricht. Aber
noch ist Ihnen Ihre unerhörte Situation nicht
klar. Statt schleunigst die Flucht zu ergreifen,
was in solchen Fällen als einzige Rettung in