Der Orchideengarten
Phantastische Blätter
Herausgeber Karl Hans Strobl A Schriftleiter Alf von Czibulka
Erster Jahrgang /^^ <&\ Neuntes Heft
DAS TAGEBUCH DES DR. HEDDERSON
Von Horst H. Wehn er (mit 4 Zeichnungen von M. Schenke)
Swar gerade vier Uhr mor-
gens, als aus dem Hause des
gestern neuvermählten Dr.
Hedderson ein Schrei gellte,
ein furchtbarer schriller To-
desschrei aus Frauenmund,
ein Schrei, der die lichte Stille
des sommerlichen Sonntagsmorgens zerriß, der
grell um die Giebel der Nachbarhäuser flat-
terte und dann jäh gurgelnd ahhrach. — —
Die Nachbarn erwachten, stürzten schrek-
kensbleich in Nachtgewändern auf die Straße,
verzerrte Angst in den Mienen, sich anschau-
end, hastend, fragend. Sie wußten nicht, woher
der Schrei gekommen, den sie alle gehört hatten,
dieser entsetzliche Schrei eines Weibes in
höchster Marterqual. — Sämtliche Fenster
waren geöffnet, die Straße stand voller Men-
schen, nur das Haus des neuvermählten Dr.
Hedderson lag geschlossen und schweigend in
blühendem Ginster. — So verging eine halbe
Stunde. —
Da tönte aus dem Hause Dr. Heddersons
plötzlich ein schrilles, wahnwitziges Lachen,
ein Lachen, das die Nerven zerriß, das Seele
und Leib schaudern machte. — Und dann
öffnete sich ein Fenster bei Dr. Hedderson,
eine Gestalt zeigte sich im Fensterrahmen, ein
Mensch, der einen weiten, grellbunten, indi-
schen Schlafrock trug. Das Gesicht dieses
Menschen war wildverzerrt, heller Wahnsinn
grellte aus jeder Miene. Und dann lachte der
Mensch wieder auf, schrill und anhaltend. Es
klang wie tierisches ^Viehern, wie Stöhnen
höchster Brunst. — Der Mann war Dr. Hedder-
son. —
Er beugte sich aus dem Fenster, blickte mit
seinem schrecklichen Lachen über die Men-
schenmenge und zerrte hinter sich an einem
Bündel, das er auf das Fensterbrett legte. Und
in seiner Rechten blitzte ein gebogener, fremd-
artiger Dolch, mit dem er auf das leblose Bün-
del einstach. — Lange goldige Frauenhaare
flatterten im Morgenwind, — die Augen der
Untenstehenden weiteten sich in starrem Ent-
setzen, — und dann, — dann warf der Doktor
das Bündel auf die Straße, daß es krachend auf
den Asphalt schmetterte. — Es war der furcht-
bar verstümmelte Körper eines fast nackten
Weibes. Die Arme und Beine fehlten, das
Gesicht war eine kaum erkennbare blutige
Fleischmasse, der Körper eine einzige grausige
Wunde, starrend von geronnenem Blut. Nur
die linke Brust stand weiß und unversehrt.
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Phantastische Blätter
Herausgeber Karl Hans Strobl A Schriftleiter Alf von Czibulka
Erster Jahrgang /^^ <&\ Neuntes Heft
DAS TAGEBUCH DES DR. HEDDERSON
Von Horst H. Wehn er (mit 4 Zeichnungen von M. Schenke)
Swar gerade vier Uhr mor-
gens, als aus dem Hause des
gestern neuvermählten Dr.
Hedderson ein Schrei gellte,
ein furchtbarer schriller To-
desschrei aus Frauenmund,
ein Schrei, der die lichte Stille
des sommerlichen Sonntagsmorgens zerriß, der
grell um die Giebel der Nachbarhäuser flat-
terte und dann jäh gurgelnd ahhrach. — —
Die Nachbarn erwachten, stürzten schrek-
kensbleich in Nachtgewändern auf die Straße,
verzerrte Angst in den Mienen, sich anschau-
end, hastend, fragend. Sie wußten nicht, woher
der Schrei gekommen, den sie alle gehört hatten,
dieser entsetzliche Schrei eines Weibes in
höchster Marterqual. — Sämtliche Fenster
waren geöffnet, die Straße stand voller Men-
schen, nur das Haus des neuvermählten Dr.
Hedderson lag geschlossen und schweigend in
blühendem Ginster. — So verging eine halbe
Stunde. —
Da tönte aus dem Hause Dr. Heddersons
plötzlich ein schrilles, wahnwitziges Lachen,
ein Lachen, das die Nerven zerriß, das Seele
und Leib schaudern machte. — Und dann
öffnete sich ein Fenster bei Dr. Hedderson,
eine Gestalt zeigte sich im Fensterrahmen, ein
Mensch, der einen weiten, grellbunten, indi-
schen Schlafrock trug. Das Gesicht dieses
Menschen war wildverzerrt, heller Wahnsinn
grellte aus jeder Miene. Und dann lachte der
Mensch wieder auf, schrill und anhaltend. Es
klang wie tierisches ^Viehern, wie Stöhnen
höchster Brunst. — Der Mann war Dr. Hedder-
son. —
Er beugte sich aus dem Fenster, blickte mit
seinem schrecklichen Lachen über die Men-
schenmenge und zerrte hinter sich an einem
Bündel, das er auf das Fensterbrett legte. Und
in seiner Rechten blitzte ein gebogener, fremd-
artiger Dolch, mit dem er auf das leblose Bün-
del einstach. — Lange goldige Frauenhaare
flatterten im Morgenwind, — die Augen der
Untenstehenden weiteten sich in starrem Ent-
setzen, — und dann, — dann warf der Doktor
das Bündel auf die Straße, daß es krachend auf
den Asphalt schmetterte. — Es war der furcht-
bar verstümmelte Körper eines fast nackten
Weibes. Die Arme und Beine fehlten, das
Gesicht war eine kaum erkennbare blutige
Fleischmasse, der Körper eine einzige grausige
Wunde, starrend von geronnenem Blut. Nur
die linke Brust stand weiß und unversehrt.
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