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VERSAMML U
Von A. M. Frey (mit 2 Holzschnitten von Otto Nückel)

ALS Konrad den Saal betrat, tauchte der
Redner, mit seiner Sache zu Ende, im
Klatschregen des Beifalls auf und nieder —
auf und nieder, wie der Hampelmann an der
Schnur. Da durch solchen Dank die, welche
zischten, sich befeuert fühlten, zischten sie
stärker. Ein Strahl mißgünstigen Atems fegte
durch gefletschte Zahne über Stuhlreihen. Kon-
rad sah mit Entsetzen die zierliche Perücke
eines harmlosen Herrn im Stoßwind auf und
gegen die Brust des Redners flattern, wo sie
haften blieb. Ganz nackt saß die Glatze auf
erstem Platz, und es war, als sei geheimster
Körperteil peinlich st entblößt. Aller Augen
tasteten lüstern vor und rutschten schamhaft
aus auf diesem spiegelnden Rund. Man vergaß
den R.edner über dem bedauernswerten alten
Herrn, der aufzustehen, zu gehen oder das Ver-
lorene zurückzufordern außerstande war —
nur mit zittrigen Händchen aus graugrünem
Schnupftuch ein Häubchen zu formen wußte,
ein beschwichtigendes Mützchen, das er mit
irrsinniger Bewegung emporfingerte, und das
schließlich droben klebte, wie Hühnerdreck
auf einem Kürbis. Der vergessene Redner aber
— vom Klatschen wie vom Zischen gleicher-
weise im Stich gelassen — barg die Perücke,
ein verflogenes Vögelchen, in beide Hohlhände
und entzog sich weiteren Pflichten, indem er
wandwärts ging und sich zum Ausschuß setzte.
Konrad batte gleich beim Eintritt und durch
alle Pein des Glatzköpfigen hindurch bemerkt,
daß an anderer Stelle des Saales etwas weitaus
Bedenklicheres irgendwie reifte. Diese At-
mosphäre des Drohenden umgab einen un-
geheuren Herrn, der — als hätt’ er's abgezirkelt

— genau in der Mitte des zum Bersten ge-
füllten Saales auf drei Stühlen saß. Konrad
sah mit Bekümmernis, die zum Grauen wuchs
daß zur Linken dieses schwarz angezogenen
Kolosses ein Stuhl unbesetzt geblieben war,
der einzige im ganzen Raum. Hätte der Berg
auf seinen drei Stühlen auch nicht den Fluß-
pferdschädel gegen Konrad entsetzlich langsam
und ruckweise gedreht, um ihn durch horn-
umränderte Brille wiederkäuerhaft schwer-
mütig herbei zu winken — Konrad wäre den-
noch gegangen und hätte dies Kreuz auf sich
genommen — wie bingeweht, wie angesogen
vom Abgrund der linken Rocktasche des Un-
geheuren. Als er sich, um hinzukommen, wo
er hinbefohlen war, durch die Stuhlreihe
quirlte, Zehen, auf die er trat, wie harte Kiesel
schmerzhaft durch die Schuhsohle spürte, an
Kniescheiben sich wund stieß, sah er, wie um
diese schwarze Masse wohlgeordnet Häuflein
bei Häuflein die Menschen auf ihren Stühlen
hockten, und er mußte sich sagen, daß dieser
Riese einem Lurch, einer sammetdunklen Kröte
glich, die ihren Laich rund um sich her Häuf-
lein bei Häuflein abgesetzt hat.
Angelangt machte Konrad eine kleine Ver-
beugung und ließ sich nieder. Der Riese ruckte
den Kopf nach links und ließ ihn zur Be-
grüßung gegen Konrad sinken, der befürchtete,
gleich werde ein Felsblock auf ihn herab-
stürzen. Er sah dies massige Haupt kantig,
dumpf erstaunt, verhalten beunruhigt — Lauern
in der Hornbrille, nicht tückisch, aber bereit
zu plumpem Sprung. Wie sich das Haupt lang-
sam schwingend gleich einem Kran von Kon-
rad wieder abdrehte, wimmerten die drei

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