Sie meinen, in einer Stadt von beiläufig fünf-
undzwanzigtausend Einwohnern gibt es keine
Polyglotten? Es gibt aber welche. Es gibt hier
eine ganze Menge. Vergessen Sie nicht, daß
wir früher einen Seehafen hatten. Sie haben
recht, das ist achtzig Jahre her. Vor achtzig
Jahren fing er an zu versanden. Kein Schiff
kommt mehr herauf. Und die Schiffer und
Händler, die allenfalls
fremde Sprachen ver-
stehen , interessieren
sich auch nicht mehr
für uns. Und die
Dampfschiffe-- ~
nein, mein Herr, aber
alle wichtigen Zei -
tungen der Welt kom-
men herein. Und sie
werden gelesen!
Was der Hafen mit
den Pensionären zu
schaffenhat? Undwer
die alten Herren sind ?
Ganz genau weil? ich
es nicht. Einige sind
ausgezeichnete Kapi-
täne, andere verschol-
lene Auswanderer.
Herr Lazarus weil?
vielleicht, was alles sie
hinter sich haben.
Aber es ist besser, ihn
nicht zu fragen. Sie
benehmen sich nicht immer zivilisiert. Unge-
hörig sind sie keineswegs. Das kann man ihnen
nicht nachsagen. Sie haben vielmehr eine ge-
wisse Bescheidenheit, wie alle Toten.
"Worüber entsetzen Sie sich? Weil ich unter
den Toten war? Ja, wissen Sie denn, ob wir
noch leben. Sie und ich und wer hier gerade
in unserer Nähe ist? Ah nein — sehen Sie,
das wissen Sie nicht! Wir reden, wir gehen,
wir lesen, wir trinken Kaffee, wir spielen. Das
tun die Toten auch. Ich bitte sehr um Ver-
gebung, mein Herr: das tun sie ganz bestimmt.
Ich habe es vor zwanzig Minuten noch beob-
achtet. Ich habe es oft beobachtet, aber zuletzt
noch vor zwanzig Minuten. Alle Gäste des
Herrn Lazarus sind Tote: die Billardspieler,
die Zeitungsleser, die Schachmeister. Auch
die Kellner sind Tote. Nein, widersprechen
Sie mir doch nicht. Es ist Unrecht von Ihnen,
einer ernsthaften Beobachtung so zu wider-
sprechen.
Ich sei verrückt? Ich nehme an. Sie haben
dieses Wort nicht gebraucht. Trinken Sie bei
Lazarus eine Schinkenbrühe mit frischen
Hühnereiern — und passen Sie sehr genau auf.
Es kommen etwa achtzehn alte Herren; ja,
Männer sind auch un-
ter ihnen. Aber wenn
man von ihrem Alter
ist, hat man schon ein
Anrecht, als Herr be-
zeichnet zu werden.
Sie setzen die Füße
etwas einwärts, wie
das die Toten zu tun
pflegen. Warum? Ich
weil? es nicht. Es mul?
ihnen wohl peinige
Sicherheit geben . , .
Wie?Woher sie kom-
men? Aus der ganzen
Stadt. Einen sah ich
durch das Herdentor
kommen, über den
„lichten Anger' man-
che. Sie grüßen nach
rechtsundlinks. Doch
die Menschen sind
furchtbar unhöflich
geworden und erwi-
dern nicht. Auch über
die Kellertreppe des Herrn Lazarus kommt
einer. Aber das ist wohl gleichgültig.
Im Parterre, in den Lauben — Sie erinnern
sich: Herr Lazarus ließ die zugemauerten Lau-
ben wieder aufreißen, das Haus sieht seither
viel behäbiger aus; Sie erinnern sich nicht?
Nun, das tut nichts zur Sache — im Parterre
geben sie ihre Kränze ab — — Ja doch, die
Kränze. Warum wollen Sie das nun wieder
nicht glauben? Sie müssen doch verstehen, daß
das die natürlichste Legitimation ist, die ein
Toter hat. Allerdings sind es Blechkränze.
Früher sollten es täglich frische Blumenkränze
gewesen sein. Und Herr Lazarus spricht mit
großer Ehrerbietung von jener Zeit. Sogar
selbstgepflückte Feldblumenkränze. Es war
ihnen wohl zu teuer oder zu mühsam. Schließ-
lich sind Blechkränze durchaus anständig; Sie
undzwanzigtausend Einwohnern gibt es keine
Polyglotten? Es gibt aber welche. Es gibt hier
eine ganze Menge. Vergessen Sie nicht, daß
wir früher einen Seehafen hatten. Sie haben
recht, das ist achtzig Jahre her. Vor achtzig
Jahren fing er an zu versanden. Kein Schiff
kommt mehr herauf. Und die Schiffer und
Händler, die allenfalls
fremde Sprachen ver-
stehen , interessieren
sich auch nicht mehr
für uns. Und die
Dampfschiffe-- ~
nein, mein Herr, aber
alle wichtigen Zei -
tungen der Welt kom-
men herein. Und sie
werden gelesen!
Was der Hafen mit
den Pensionären zu
schaffenhat? Undwer
die alten Herren sind ?
Ganz genau weil? ich
es nicht. Einige sind
ausgezeichnete Kapi-
täne, andere verschol-
lene Auswanderer.
Herr Lazarus weil?
vielleicht, was alles sie
hinter sich haben.
Aber es ist besser, ihn
nicht zu fragen. Sie
benehmen sich nicht immer zivilisiert. Unge-
hörig sind sie keineswegs. Das kann man ihnen
nicht nachsagen. Sie haben vielmehr eine ge-
wisse Bescheidenheit, wie alle Toten.
"Worüber entsetzen Sie sich? Weil ich unter
den Toten war? Ja, wissen Sie denn, ob wir
noch leben. Sie und ich und wer hier gerade
in unserer Nähe ist? Ah nein — sehen Sie,
das wissen Sie nicht! Wir reden, wir gehen,
wir lesen, wir trinken Kaffee, wir spielen. Das
tun die Toten auch. Ich bitte sehr um Ver-
gebung, mein Herr: das tun sie ganz bestimmt.
Ich habe es vor zwanzig Minuten noch beob-
achtet. Ich habe es oft beobachtet, aber zuletzt
noch vor zwanzig Minuten. Alle Gäste des
Herrn Lazarus sind Tote: die Billardspieler,
die Zeitungsleser, die Schachmeister. Auch
die Kellner sind Tote. Nein, widersprechen
Sie mir doch nicht. Es ist Unrecht von Ihnen,
einer ernsthaften Beobachtung so zu wider-
sprechen.
Ich sei verrückt? Ich nehme an. Sie haben
dieses Wort nicht gebraucht. Trinken Sie bei
Lazarus eine Schinkenbrühe mit frischen
Hühnereiern — und passen Sie sehr genau auf.
Es kommen etwa achtzehn alte Herren; ja,
Männer sind auch un-
ter ihnen. Aber wenn
man von ihrem Alter
ist, hat man schon ein
Anrecht, als Herr be-
zeichnet zu werden.
Sie setzen die Füße
etwas einwärts, wie
das die Toten zu tun
pflegen. Warum? Ich
weil? es nicht. Es mul?
ihnen wohl peinige
Sicherheit geben . , .
Wie?Woher sie kom-
men? Aus der ganzen
Stadt. Einen sah ich
durch das Herdentor
kommen, über den
„lichten Anger' man-
che. Sie grüßen nach
rechtsundlinks. Doch
die Menschen sind
furchtbar unhöflich
geworden und erwi-
dern nicht. Auch über
die Kellertreppe des Herrn Lazarus kommt
einer. Aber das ist wohl gleichgültig.
Im Parterre, in den Lauben — Sie erinnern
sich: Herr Lazarus ließ die zugemauerten Lau-
ben wieder aufreißen, das Haus sieht seither
viel behäbiger aus; Sie erinnern sich nicht?
Nun, das tut nichts zur Sache — im Parterre
geben sie ihre Kränze ab — — Ja doch, die
Kränze. Warum wollen Sie das nun wieder
nicht glauben? Sie müssen doch verstehen, daß
das die natürlichste Legitimation ist, die ein
Toter hat. Allerdings sind es Blechkränze.
Früher sollten es täglich frische Blumenkränze
gewesen sein. Und Herr Lazarus spricht mit
großer Ehrerbietung von jener Zeit. Sogar
selbstgepflückte Feldblumenkränze. Es war
ihnen wohl zu teuer oder zu mühsam. Schließ-
lich sind Blechkränze durchaus anständig; Sie