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gen eineWeile über denBlumen- undKohlmarkt
streifen, bis die Lider müde werden und zufallen.
Und was weiter? Ach, eigentlich nichts.
Nein, gar nichts. Sie trinken langsam eine Schale
heißen Kaffee. Bouillon meinen Sie? Schinken-
brühe mit frischen Hühnereiern? Nein, das
wäre wohl zu kräftig. Sie dürfen nicht fett er-
nährt werden. Außer-
dem käme das zu teuer
für Herrn Lazarus, der
sie ja umsonst bewir-
tet. Doch der billige
Zichorienkaffee ist ih-
nen lieb. Nur sehr heiß
muß er sein. Und an
regnerischen Tagen,
namentlich im No-
vember, genehmigen
sie sogar einen Arrak-
punsch. Aber das ist
eine Sache, die nicht
eben gut ausläuft. Und
wir wollen besser
nicht davon sprechen.
Ob ich nähere Be-
ziehungen mit den al-
ten Herren angeknüpft
habe? Nein, das heißt
— da ist mir heute et-
was passiert.Ich möch-
te es eigentlich nicht
erzählen. Es ist mir
peinlich, weil ich mich anscheinend nicht
gerade gut benommen habe.
Da ist ein Kapitän, der immer recht witzige
Geschichten erzählt. Von den Palau-Negern,
glaube ich. Alles konnte ich nicht verstehen,
denn manche Bewegungen, mit denen er sprach,
blieben mir verborgen. Aber er erzählt jeden
Tag eine Geschichte. Ich kenne langsam alle
Inhalte. Ich weiß sogar den Turnus, in dem
er sie wiederholt. Und obwohl die Zuhörer
stets dieselben sind, ist doch die Inbrunst des
Zuhörens stets die gleiche. Es ginge mich ja
eigentlich nichts an. Aber ich war heute etwas
verärgert. Ich muß es zugeben. Ich hatte eine
üble Nachricht von meinem Bruder bekommen.
Er spekuliert, sehen Sie, und fast immer bat er
Pech. Ich aber bin es dann, der ihm wieder
heraushelfen muß. Ja, ich war sehr verärgert
über ihn. Ich hätte mich mehr in acht nehmen

sollen. Der Kapitän erzählte in seiner taub-
stummen Ruhe jede Pointe. Er pausierte wie
nach einer Vorschrift und wartete auf das
Lächeln der Toten, das pflichtgemäß die Pause
ausfüllen mußte. Aber — wie gesagt, mein
Herr, ich war etwas verärgert. Sie verstehen
das ich trat in diese rhetorische Pause
hinein. Ich sagte:
„Mein lieber Herr
Kapitän, es ist nicht
recht von Ihnen, einem
alten Herrn, jedesmal
dieselbe eitle Komödie
aufzufübren. Sie soll-
ten sich schämen, ver-
zeihen Sie, schämen, so
wenig Art und soviel
überflüssige-“
Gewiß, ja, ich gebe
zu, es war nicht eben
nett von mir. Es war
unhöflich oder sogar
unziemlich. Ich hätte
den bravenMannwohl
nicht so erschrecken
sollen mit meinem
lauten, aufdringlichen
Einwurf. Ich wollte
es wieder gutmachen
und griff nach seiner
Hand. Ich schüttelte
sie herzlich. Er sollte
doch merken, daß ich um Verzeihung bäte. Er
verzog keine Miene, er ignorierte mich vollstän-
dig. Ich verspürte keinen Gegendruck. „Mein
Herr —“, sagte ich. Aber er wandte sich weg.
Ich hatte immer noch seine Hand in der
meinen. Er stand auf, drückte energisch das
Kinn in den Kragen. Und ich hielt die Hand
fest. Nichts weiter als die Hand. Wie meinen
Sie? Nein, ganz lose, nur die Hand. Ich sagte,
und natürlich stammelte ich: „Aber mein Herr,
nehmen Sie doch Ihre Hand zurück!' Er öffnete
die Türe, beachtete meine Aufforderung nicht,
er schritt gravitätisch — vielleicht auch war
es einige Verlegenheit.
„Mein Herr, Ihre Hand — P
Er stieg die Treppe hinunter. Ich überholte
ihn, hielt ihm die Hand entgegen wie der
Händler den angepriesenen Fisch.
„Ihre Hand — P
 
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