„Lebe also nicht!“
Resanow schlug die Augen auf. Er blickte
gehässig auf das rundliche Postfräulein, das,
mit dem Heraussuchen seiner Chiffre be-
schäftigt. viele Briefe und Postkarten eine nach
der anderen auf den Tisch warf. So widerlich
und zudringlich lachte sie dabei.
j~ Schließlich reichte sie ihm einen Brief in
einem schmalen Umschlag und legte alle anderen
Briefe weg.
„Sonst habe ich nichts da.“
„Ich brauche auch nichts mehr“, sagte Resa-
now geärgert.
Er ging zur Seite, setzte sich auf eine Bank
vor einer Säule und öffnete den Brief. Er tat
es mit ziemlicher Eile, war aber sonst ruhig.
Große, schmale
Buchstaben, feine
Striche, eine gleich-
mäßige, ruhige, uner-
wartet schöneHand-
schrift.
„Sehr geehrter
Herr!
Ich bin einver-
standen. Ich fürchte
nichts. Ich verstehe
alles. Am Donners-
tag um sechs Uhr.
Michaelspark, die
Allee rechts vom
Eingang. Weißes
Kleid. Ihr Brief in
der rechten Hand.
Ihr Tod.“
D er Postamts-
diener schwang die
Glocke. Der Saal
leerte sich. Resanow
fuhr ins Wiener Restaurant. Er aß schnell
zu Mittag und trank Wein.
Um halb sechs war er schon im Park.
Sie stand unter einem Baum am Anfang der
Allee in der Nähe des Eingangs. Ihr Kleid
hob sich weiß vom dunklen Grün des stillen
Parks ab.
Schlank war sie, blaß, sehr still und ruhig.
^Vährend er auf sic zuging, sah sie ihn auf-
merksam an. Sie hatte graue, ruhige Augen,
die nichts verrieten. Aber der Blick war ge-
spannt und aufmerksam. Der Ausdruck des
durchaus nicht schönen Gesichts war heiter
und demütig. Lieb und traurig war das Lächeln
des großen Mundes.
„Mein lieber Tod!“ sagte er leise.
Er blieb vor ihr stehen und streckte ihr, von
einer seltsamen Unruhe ergriffen, die Hand
entgegen.
Sie schwieg. Sie nahm seinen Brief aus der
Rechten in die Linke und drückte seine Hand
mit der ihrigen, die auffallend schmal, kühl
und sanft war.
Er fragte:
„Hast du lange auf mich gewartet?“
Sie antwortete, jedes Wort langsam artiku-
lierend, mit leblos eintöniger undtödlichruhiger
Stimme:
„Du hast mich
nicht erwartet. Du
dachtest, daß du eine
andere und nicht
mich treffen wür-
dest.“
Es schien ihm, daß
ihr ein seltsam kalter
Hauch entströme. So
still und unbeweg-
lich waren die Falten
ihres weißen Klei-
des. Der einfache
Strohhut mit dem
weißen Band, der
hoch auf der Frisur
saß, warf einen gel-
ben Schatten auf ihr
ruhiges Gesicht. Als
sie so vor Resanow
stand, beugte sie sich
ein wenig vor und
zog mit der Spitze
ihres leichten Sonnenschirms einen feinen
Strich im Sande von links nach rechts
zwischen ihm und sich.
Er fragte:
„Du willst also mein Tod sein?“
So ruhig klang ihre Antwort:
„Ich bin dein Tod.“
Und er fragte wieder, während es ihn kalt
überlief:
„Fürchtest du denn nicht, eine so unheim-
liche Rolle zu spielen?“
Sie antwortete:
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Resanow schlug die Augen auf. Er blickte
gehässig auf das rundliche Postfräulein, das,
mit dem Heraussuchen seiner Chiffre be-
schäftigt. viele Briefe und Postkarten eine nach
der anderen auf den Tisch warf. So widerlich
und zudringlich lachte sie dabei.
j~ Schließlich reichte sie ihm einen Brief in
einem schmalen Umschlag und legte alle anderen
Briefe weg.
„Sonst habe ich nichts da.“
„Ich brauche auch nichts mehr“, sagte Resa-
now geärgert.
Er ging zur Seite, setzte sich auf eine Bank
vor einer Säule und öffnete den Brief. Er tat
es mit ziemlicher Eile, war aber sonst ruhig.
Große, schmale
Buchstaben, feine
Striche, eine gleich-
mäßige, ruhige, uner-
wartet schöneHand-
schrift.
„Sehr geehrter
Herr!
Ich bin einver-
standen. Ich fürchte
nichts. Ich verstehe
alles. Am Donners-
tag um sechs Uhr.
Michaelspark, die
Allee rechts vom
Eingang. Weißes
Kleid. Ihr Brief in
der rechten Hand.
Ihr Tod.“
D er Postamts-
diener schwang die
Glocke. Der Saal
leerte sich. Resanow
fuhr ins Wiener Restaurant. Er aß schnell
zu Mittag und trank Wein.
Um halb sechs war er schon im Park.
Sie stand unter einem Baum am Anfang der
Allee in der Nähe des Eingangs. Ihr Kleid
hob sich weiß vom dunklen Grün des stillen
Parks ab.
Schlank war sie, blaß, sehr still und ruhig.
^Vährend er auf sic zuging, sah sie ihn auf-
merksam an. Sie hatte graue, ruhige Augen,
die nichts verrieten. Aber der Blick war ge-
spannt und aufmerksam. Der Ausdruck des
durchaus nicht schönen Gesichts war heiter
und demütig. Lieb und traurig war das Lächeln
des großen Mundes.
„Mein lieber Tod!“ sagte er leise.
Er blieb vor ihr stehen und streckte ihr, von
einer seltsamen Unruhe ergriffen, die Hand
entgegen.
Sie schwieg. Sie nahm seinen Brief aus der
Rechten in die Linke und drückte seine Hand
mit der ihrigen, die auffallend schmal, kühl
und sanft war.
Er fragte:
„Hast du lange auf mich gewartet?“
Sie antwortete, jedes Wort langsam artiku-
lierend, mit leblos eintöniger undtödlichruhiger
Stimme:
„Du hast mich
nicht erwartet. Du
dachtest, daß du eine
andere und nicht
mich treffen wür-
dest.“
Es schien ihm, daß
ihr ein seltsam kalter
Hauch entströme. So
still und unbeweg-
lich waren die Falten
ihres weißen Klei-
des. Der einfache
Strohhut mit dem
weißen Band, der
hoch auf der Frisur
saß, warf einen gel-
ben Schatten auf ihr
ruhiges Gesicht. Als
sie so vor Resanow
stand, beugte sie sich
ein wenig vor und
zog mit der Spitze
ihres leichten Sonnenschirms einen feinen
Strich im Sande von links nach rechts
zwischen ihm und sich.
Er fragte:
„Du willst also mein Tod sein?“
So ruhig klang ihre Antwort:
„Ich bin dein Tod.“
Und er fragte wieder, während es ihn kalt
überlief:
„Fürchtest du denn nicht, eine so unheim-
liche Rolle zu spielen?“
Sie antwortete:
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